Martin Luther
 auf Holz gemalt im
Musée international de la Réforme in Genf

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kurfüst von Sachsen
(Erzmarschall)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erzbischof von Mainz
(Reichserzkanzler) 

Freiburgs Geschichte in Zitaten

Wie Albrecht von Brandenburg wollt Erzkanzler werden
und dabei den Thesenanschlag Luthers provoziert

 

Vorreformatorische Zustände im Bistum Magdeburg

 

Anno Christi 1467. den 12 Januarii hat Ertzbischoff Johanni succediret Ernestus, ein Hertzog zu Sachsen, des Churfürsten Ernesti Sohn und zwar im 12. Jahr seines Alters, aus dispensation des Pabsts Sixti IV. darum er auch als Administrator des Ertz-Stiffts anfänglich eingeführet worden, biß er seine Jahre erreichet; Deme im vierdten Jahre hernach Bischoff Gebhardus das Halberstädtische Bistum resigniret. Ist ein lieber gewissenhafter und gottseeliger Herr gewesen. Er hat das Schlos zu Halle, die Moritzburg zu seiner Residentz und Hoffhaltung, weil es die damahlige Uneinigkeit zwischen den Rath und Pfännerschaft (die Zunft der Salzsieder auch als Halloren bekannt) also erfodert, und er den vierdten Theil der Saltzgüter überkommen, auff seine eigene Kosten Anno 1484. den 15. Maji. zu bauen angefangen, und nach diesen herrlich ausgeführten Gebäu gesagt: Wenn er wissen (erfahren) sollte, daß seine Untertahnen zu solchen Bau den geringsten Heller gegeben, oder einigen Dienst gethan, wollte er solches wieder einreissen, und auffs neue bauen … [Magd89].  

 

So liest es sich in einem Domführer aus dem Jahre 1689 über die vorreformatorischen Zustände im Bistum Magdeburg. Die obige Schilderung belegt drei Elemente kirchlicher Praxis, die neben dem Ablasshandel zum Unmut in der niederen Geistlichkeit und beim gemeinen Mann beitrugen und mit zur religiösen Umwälzung in deutschen Landen führten: Die Vergabe von hohen geistlichen Ämtern und damit auch Pfründen bevorzugt an nicht erbberechtigte Söhne der Fürstenhäuser (hier an den Wettiner Ernst), die Anhäufung eben dieser geistlichen Ämter durch einzelne Personen, auch wenn dies nach Kirchenrecht verboten war, und die Errichtung von Prachtbauten durch die hohe Geistlichkeit mit dem Gelde und der Fronarbeit ihrer Untertanen. Dieses letzten Vergehens hat sich Ernst, wie wir dem obigen Dokument entnehmen, zwar nicht schuldig gemacht, doch lässt er die von ihm gebaute Moritzburg als Zwingburg ausführen. Das Verbot der Ämterhäufung umgeht Magdeburgs Erzbischof geschickt, ist er doch seit 1480 nur Administrator des Bistums Halberstadt, in dessen Eigenschaft er 1491 den dortigen Dom fertigstellen lässt. Doch lassen wir den Chronisten weitererzählen:

 

Umb selbige Zeit ist Martin Luther, damahls ein Knabe von 14. Jahren, gen Magdeburg zur Schule kommen, und das Brod, wie arme Currentschüler pflegen, gesuchet, hernach A. 1503. zu Erffurt Magister*, und A. 1512. Doctor** worden. Als dieser Ertzbischoff (Ernst) auff dem Todbette gelegen, und die Barfüsser Münche ihm alle ihre, und des gantzen Minoriten Ordens gute Wercke und Verdienst offeriret, mit Vertröstung, daß dadurch er gerecht vor dem Richterstuhl Christi würde bestehen können. Da hat der fromme Ertzbischoff geantwortet: Ich will mich nicht auff meine, noch auff eure gute Wercke, sondern allein auff die Wercke meines Herrn Jesu Christi verlassen, und ist darauff selig gestorben, den 3. Augusti 1513. nachdem er 37 Jahr 9. Monat 2. Tage regieret. Ernst als ein Vorläufer Luthers? So liest es sich in der Tat.

*Luther schließt das Magisterexamen im Jahre 1505 als Zweitbester seines Jahrgangs ab

**in Wittenberg

 

 

Die erste Teilung Sachsens und Gründung der Leucorea

 

 Mit dem Niedergang des Kaisertums wird die geschichtliche Entwicklung des Reiches zunehmend durch die Macht der Reichsfürsten bestimmt. Besonders Sachsen, das Kurfürstentum der Wettiner, ist Dank seiner Silberbergwerke ein wohlhabendes und einflussreiches Land.

 

Als im Jahre 1464 Kurfürst Friedrich II. der Sanftmütige stirbt, wechseln sich seine Söhne Ernst und Albert 21 Jahre lang in der Regierung des Herzogtums Sachsens ab. Doch 1485 gibt es einen Sinneswandel (Sind es ihre Frauen, die darauf drängen?), denn die Brüder unterschreiben in Leipzig Teilzettel, um das Land unter sich aufzuteilen. Der ältere Ernst erhält dabei die Kurwürde, den thüringischen Landesteil und dazu noch das Herzogtum Sachsen-Wittenberg. Dieses ernestinische Haus nimmt neben den Städten Weimar und Torgau auch Wittenberg zur Residenz. Der jüngere Albert hält dagegen Hof in Dresden.

 

Im Jahre 1486 wird Ernsts Sohn Friedrich der Weise sächsischer Kurfürst. Ständig um die Staatsfinanzen besorgt, stellt er sein Heiligtum, seine stetig wachsende Reliquiensammlung, in der Schlosskirche zur Schau und macht aus Wittenberg einen lukrativen Pilgerort. Schließlich winkt jedem, der jedes der 5005 Exponate andächtig betrachtet, ein Ablass von genau 1443 Jahren, wie Friedrichs Kleriker errechnet hatten [Breu05].

 

 

Friedrich der Weise von Lucas Cranach des Ä.

 

Dennoch schaut der Kurfürst neidisch ins Sachsen seines Vetters, denn dort zieht seit 1409 die Universität Leipzig reiche Studenten – nur junge Männer mit vermögenden Vätern können sich ein Studium leisten – an, die Geld in die Schatulle Georg des Bärtigen (1500-1539) bringen. So gründet Friedrich mit einem Privileg Maximilians am 18. Oktober 1502 in Wittenberg seine eigene Universität die Leucorea (griechisch weißer/witter Berg).

 

Um viele Studenten an seine Tochter, wie er die Hochschule zärtlich nennt, zu ziehen, sucht der Kurfürst gezielt nach attraktiven Dozenten. Im Jahre 1508 beruft der erste Dekan der theologischen Fakultät Johann von Staupitz den jungen Augustinermönch Martin Luther an die Universität. Mit  Professoren wie Andreas Bodenstein von Karlstadt, Nikolaus von Amsdorf Justus Jonas, Johann Bugenhagen und Philipp Melanchton für Griechisch entwickelt sich die Leucorea mit der Zeit zu einem theologischen Zentrum im deutschen Sprachraum.

 

 

Anno Christi 1513 ist ein Marggraff zu Brandenburg ... zum Ertzbischoff erwehlet

 

Dem frommen Wettiner auf dem Magdeburger Bischofsstuhl folgt im Amt ein ehrgeiziger Brandenburger: Anno Christi 1513. ist Albertus V. (1513-1545) ein Marggraff zu Brandenburg, Dom=Herr zu Magdeburg, Churfürstes Johannis zu Brandenburg Sohn, bey Regierung Kaysers Maximiliani I von E. Hochw. Dom Capitul zum Ertzbischoff erwehlet.

 

Dieser Albrecht, Bruder des brandenburgischen Kurfürsten Joachim, war schon 1509 als 19-Jähriger und vier Jahre vor seiner Priesterweihe Domherr in Mainz. Mit seiner Wahl zum Erzbischof von Magdeburg ist der nun 23-Jährige wie sein Vorgänger ebenfalls Administrator des Bistums Halberstadt. Er residiert in der Moritzburg zu Halle, möchte aber, um seinen Schäfchen näher zu sein, sich in Halberstadt eine ähnliche Zwingburg errichten, was der städtische Rat jedoch verhindert.

 

Albrecht von Brandenburg Erzbischof von Mainz, Erzkanzler und Cardinal Priester Tituli S. Chysogenis zu Rom  von Albrecht Dürer

 

Neben diesen Ämtern ist Albrecht Markgraf von Brandenburg, Herzog von Stettin und Pommern, Burggraf zu Nürnberg sowie Fürst von Rügen. Doch das alles ist ihm nicht genug, denn er will seinem älteren Bruder nicht nachstehen und strebt die Kurwürde des Erzbistums Mainz an. Die macht ihn zum Primas der deutschen Kirche und vor allem zum Erzkanzler des Reiches.  Als im Februar 1514 der Erzbischof von Mainz Uriel von Gemmingen stirbt, wählt das Domkapitel den inzwischen 24-jährigen Albrecht zum Nachfolger. Den Posten gibt es aber nicht umsonst, denn ein neu gewählter Bischof benötigt die Zustimmung des Papstes, für die 14 000 Gulden Palliengeld* an Rom zu entrichten sind. Üblicherweise wird diese Gebühr in den Bistümern erhoben, doch die Mainzer Domherren zieren sich. Da bietet der Kandidat an, die Summe selbst zu zahlen, und macht sich damit der Simonie schuldig.

*Das ist viel Geld für ein breites weißes Wollband mit schwarz gestickten Kreuzen als Zeichen der neuen Würde  

 

 

 

 

Sacrosancti Salvatoris et Redemptoris

 

Den Kauf geistlicher Ämter und Pfründen hatten schon die Konzilien von Chalkedon (451) und Nikaia (787) verboten. Will Albrecht also das Erzbistum Mainz erwerben, benötigt er zusätzlich zum Palliengeld einen Dispens des Papstes, für den weitere 10 000 Gulden fällig sind. All das sind willkommene Einnahmen, die Rom vorzüglich zum Bau eines neuen Petersdoms, dessen Grundstein 1506 gelegt wurde, einsetzen möchte.

 

Der Papst als Ablasshändler: Hie sitzt der Antichrist im Tempel Gotts, und erzeiget sich als Gott, wie Paulus vorkundet, vorandert alle gottlich Ordnung, wie Daniel sagt, und unterdruckt die heilig Schrift, verkäuft Dispensation, Ablaß, Pallia, Bisthum, Lehen, erhebt die Schätz der Erden, lost uf die Ehe, beschwert die Gewissen mit seinen Gesetzen, macht Recht, und umb Geld zureißt er das. Erhebt Heiligen, benedeiet und maledeiet ins vierte Geschlecht, und gebeut sein Stimm zu horen, gleich wie Gotts Stimm und Niemands sall ihm einreden. (zeitgenössisches Spottbild)

 

Bei so viel Geld kommt Albrecht in Zahlungsschwierigkeiten. Da macht ihm der Medicipapst Leo X. das Angebot, er möge doch den 1515 in der Bulle Sacrosancti Salvatoris et Redemptoris gewährten und für den Bau der Peterskirche vorgesehenen Ablass in seinen Bistümern verkünden lassen.

 

Jacob Fugger der Reiche von Dürer  

 

Die hohen Gnadengaben dieser indulgentia befreien Lebende aber auch bereits Verstorbene, die durch eine Beichte ihre Sündenschuld getilgt haben, von allen zeitlichen Sündenstrafen und vom Fegefeuer [Desc04]. Von den Einnahmen aus dem Verkauf der Ablasszettel darf Albrecht die Hälfte für seine Zwecke verwenden.

 

Da der Papst die 24 000 Gulden cash verlangt, schaltet Albrecht zur Zwischenfinanzierung das Bankhaus Fugger ein. So kommt es, dass der neue Erzbischof von Mainz von seinem Anteil des Petruspfennigs keinen roten Heller sieht, denn mit den Ablasspredigern zieht jeweils ein Beauftragter des Augsburger Handelshauses mit übers Land, um die zügige Rückzahlung des gewährten Kredits mit Zins und Zinseszins sicherzustellen [Scho03].

 

 

Medicipapst Leo X. mit den Kardinälen Guilio de Medici (dem späteren Papst Clemens VII.) und Luigi de Rossi. Gemälde von Raffael

 

 

 

 

So bald der Gülden im Becken klingt ...

 

Der Mensch des ausgehenden Mittelalters lebt in ständiger Angst vor der ewigen Verdammnis, welche ihm, des Lesens und Schreibens unkundig, so eindrücklich in der biblia pauvra, den bildlichen Darstellungen in den Fenstern und Skulpturen der Kirchen, vor Augen geführt wird. Es ist nicht die „moderne“ Furcht vor der Kälte und Leere eines nihilistischen Jenseits, sondern die bohrende Ungewissheit nach den Formen des Lebens nach dem Tod. Gibt es eine Versöhnung mit Gott oder nie enden wollende Qualen im Schlund der Hölle? [Schi17].

 

Auch die Leiden des Fegefeuers müssen unerträglich sein, wie Ablassprediger anschaulich zu berichten wissen. Einer der Erfolgreichsten seines Fachs ist Johannes Tezelius im Dienste Albrechts, Domicaner Münch, mit seinen Römischen Ablaßkram, welchen er im Jahre Christi 1517 in Deutschenlanden zu marckt gebracht ... Mit Sprüchen wie: Laufet alle nach dem Heil eurer Seele. Seid bereit und sorgfältig für das Seelenheil, wie für zeitliche Güter, davon ihr weder Tag noch Nacht ablasset. Suchet den Herrn, weil er nahe ist, und man ihn finden kann, zieht Tetzel dem ärmsten Tagelöhner den letzten Heller aus der Tasche: So bald der Gülden im Becken klingt, Im huy die Seel im Himmel springt [Schi88].

 

Tetzel allerdings sammelt nicht in Becken, sondern in großen gesicherten Kästen, von denen im Jahre 1741 noch einer im Dom zu Magdeburg steht. Johann Andreas Silbermann beschreibt in seinem Reisetagebuch  die Sehenswürdigkeiten der Kirche und fertigt eine Zeichnung des Tetzelkastens an: An einer Seite ist Johann Tetzels eines Dominicaner Mönches von Pirna Ablas Kasten zu sehen, er ist sehr groß und wohl mit reichen Beschlagen verzier hier zu sehen [Silb41].

 

 

Ablaß ist lauter Büberei und Trügerei

 

Wie schon erwähnt ist Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen dank seiner Einnahmen aus dem sächsischen Bergbau nicht nur der reichste, sondern auch der mächtigste Fürst in deutschen Landen. Weitere Gelder lassen Pilger in Wittenberg, die zur Erwerbung eines Ablasses Friedrichs reiche Reliquiensammlung besonders an Misericordias Domini im Frühjahr und an Allerheiligen im Herbst in der Schlosskirche besuchen. Deshalb hatte der Kurfürst um seine Einnahmen bangend die römische Kollekte in Sachsen untersagt. So gehen seine Landeskinder über die Landesgrenzen nach Jüterbog ins Brandenburgische oder nach Zerbst in Anhaltinische, um den Tetzel zu hören und seine Geldkisten zu füllen [Breu05].

 

Es ist nicht die Sorge um die Finanzen seines Landesherrn, sondern der aggressive Verkauf dieser Ablassbriefe, der Martin Luther auf den Plan ruft, muss er doch von seinen Beichtkindern erfahren, dass man fortan weder von Ehebruch, Hurerei, Wucher, ungerechtem Gut noch dergleichen Sünde ablassen müsse, denn auch die zukünftigen Sünden seien durch Ablass tilgbar. Wenn einer gleich die heilige Jungfrau Maria, Gottes Mutter geschwängert hätte, so könnte der Tetzel es vergeben, wenn man in den Kasten lege, was sich gebühre [Schi88].

 

 

Tetzel auf einem Esel reitend bietet Ablasskram an (Flug-schrift)

 

 

Ablaß ist lauter Büberei und Trügerei, die die armen, einfältigen Christen um Geld und Seele bringet schimpft Luther und prangert in seinen 95 Thesen öffentlich den Ablasshandel an.

 

 

Er bestreitet, dass per pape indulgentias hominem ab omni pena solui et saluari* und verkündet stattdessen in Artikel 36: Habet remissionem plenariam a pena et culpa, etiam sine literis venarium sibi debitam* [Desc04].

*Luther bestreitet, dass durch Ablässe des Papstes der Mensch von allen Strafen ge- und erlöst wird und verkündet stattdessen: Jeder Christ, der bereut, hat die volle Vergebung der Strafen und Schuld auch ohne einen Ablassbrief.

In These 46 heißt es: Man muß die Christen lehren: Wenn sie nicht Geld im Überfluß haben, sind sie verpflichtet, das für ihr Hauswesen Notwendige zu behalten und keinesfalls für Ablaß zu vergeuden [Prei16].

 

Der Thesenanschlag in einer amerikanischen Darstellung

 

Am 31. Oktober 1517 schickt Luther seine Thesen an den für Wittenberg zuständigen Bischof Hieronymus Schulz in Brandenburg und, mit Ihr treuer Diener und mit Martin Luther* statt Luder gezeichnet, an Albrecht in Mainz. Der will jedoch - inzwischen vom Papst zum Kardinal ernannt - nicht mit einem hergelaufenen Augustiner aus Wittenberg diskutieren und schickt dessen Ablasskritik nach Rom.

*Luder hatte, wie damals üblich, seinen Namen nicht latinisiert, sondern gräzisiert und sich als Eleutherios, der Freie, der Befreite genannt und gefühlt. Das griechische θ überträgt er als th in seinen deutschen Namen

 

Im Sommer 1518 wird dort der Prozess gegen den aufrührerischen Mönch eröffnet: Wenn die Ablasspraxis durch den Papst in Gang gesetzt und gebilligt wird, so ist sie nicht zu kritisieren [Maur99]. Am 7. August erhält Luther eine Vorladung wegen Ketzerei und Auflehnung gegen die Amtskirche. Er soll sich innerhalb von 60 Tagen in Rom einfinden.

 

 

 

 

Gravamina
(Lutherhaus Wittenberg)

Gravamina der Teutschen nacion an den stul zu Rom

 

Doch Luthers Dienstherr Friedrich der Weise schickt seinen Doctor Martinus, den jungen Professor seiner neugegründeten Wittenberger Universität, nicht in die Verliese des Vatikans, sondern 1518 zum Reichstag nach Augsburg. Dahin reist auch Albrecht in seiner Eigenschaft als Erzkanzler des Reiches begleitet von seinem Sekretär Ulrich von Hutten [Rose02]. Der im Dienstort Albrechts in Mainz im Vorjahr abgehaltene Reichstag hatte sich als unergiebig erwiesen, doch der von Augsburg steht ihm nicht nach. Hier erlebt der gebrechliche Maximilian seine letzte große Niederlage, bei dem Versuch, seine Nachfolge zu regeln, als die Kurfürsten sich weigern, seinen Enkel Karl zum römischen König zu wählen.

 

Zwar werden in Augsburg die Gravamina der Teutschen nacion an den stul zu Rom, die Maximilian 1510 beim Humanisten Jakob Wimpfeling in Auftrag gegeben hatte, auf die Tagesordnung gesetzt, das die land und lewt Teutscher nation nun etwevil iar mergklich beschwerung und nachtheil an leib und gut in mancherlei weyß emphangen und gelitten, ... auffrur, krig und verwustung der land, ... kranckheit, sterben und vergeen der lewt, ... mißwachs (Missernten), hagel, tewrung, hunger und mangel an allem ... dulden und leiden müssen und wie grosse sum gelts durch gelegte curciat, indulgencien uns anders auus Teutschen landen verschiner zeit bracht weren und noch wurden, dardurch und anders Teutschland an gelt ganz erschopft weren und wurden ..., doch ein Beschluss wegen der Entführung des Gelds und Guts aus Teutscher Nation wird vertagt [Schm99].

 

Dem gemeinen Mann jedoch, sofern er denn von den Verhandlungen in Augsburg etwas erfährt, sind diese Gravamina zu abstrakt. Dafür hatten die Thesen des Augustinermönchs aus dem Sächsischen gegen Missstände in der Kirche und Ablasshandel die Stimmung im Volk getroffen. Man raunt sich zu: der in Augsburg anwesenden Martin Luther soll seine Thesen am Vorabend des Festes Allerheiligen 1517 eigenhändig an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geheftet haben*.

*Eine lateinische Notiz gefunden 2006 in der Universität Jena im Handexemplar Luthers von Das Neue Testament Deutsch, Wittenberg, Hans Lufft, 1540  seines Sekretärs Georg Roerer  scheint dies zu bestätigen: Im Jahr 1517 am Vorabend vor Allerheiligen sind in Wittenberg an den Türen der Kirchen die Thesen über den Ablass von Doktor Martin Luther vorgestellt worden [Badi07].

 

 

 

Wie finde ich einen gnädigen Gott?

 

Auch Luther als Mensch seiner Zeit lebt in der Furcht vor ewiger Verdammnis und sein Gottesbild hatte die Züge eines, wohl seines strengen Vaters. Im Rückblick auf diese Zeit schreibt er: Denn ich gleubte nicht an Christum, sondern hielt in nicht anders denn für einen strengen, schrecklichen Richter, wie man in malet auff dem Regenbogen sitzend, dargestellt in den Glasfenstern und Tympanona mittelalterlicher Kirchen [Schi17].

 

Zunächst erhofft sich Luther, einen gnädigen Gott durch Leistungsfrömmigkeit zu erringen, doch schließlich hatte er sich in seinem Wittenberger Turmzimmer oder auf der Kloake sitzend* nach vielen Selbstzweifeln zur Einsicht durch-gerungen, dass der Mensch Gottes Gnade nicht durch Beten, Fasten und gute Werke erringen kann: Diese kunst hat mir der Heilige Geist auff dieser cloaca auff dem thorm eingeben [Schi17].

*Luther litt wohl aus Mangel an Bewegung zeitlebens an Hartleibigkeit

 

Kurz vor seinem Tod beschreibt er selbst seine exegetische Entdeckung: Ich aber, der ich, so untadelig ich auch als Mönch lebte … nicht darauf vertrauen konnte, durch mein Genugtun versöhnt zu sein, liebte Gott nicht, ja ich hasste vielmehr den gerechten und die Sünder strafenden Gott [Moli16]. Bis ich durch Gottes Erbarmen - Tag und Nacht darüber meditierend - den Zusammenhang der Worte beachtete nämlich: Sintemal darinnen offenbaret wird die Gerechtigkeit, die für Gott gilt, welche kompt aus Glauben in Glauben. Wie denn geschrieben stehet: Der Gerechte wird seines Glaubens leben. [Röm 1,17]. Und weiter: So halten wir es nu, das der mensch gerechtfertigt werde, on (ohn) zu tun der werck des gesetzes alleyn durch de glawben [Röm 3,28]. Übrigens steht das alleyn weder im griechischen Original noch in der offiziellen lateinischen Vulgata.

 

In seinem Sendbrief vom Dolmetschen rechtfertigt sich Luther für diesen Zusatz, denn für ihn bedeutet Übersetzung die Übermittelung evangelischer Wahrheit: Also habe ich hie Roma. 3. fast wol gewist, das ym Lateinischen und krigischen text das wort ‘solum‘ nicht stehet, und hetten mich solchs die papisten nicht dürffen lehren. War ists. Dise vier buchstaben s o l o stehen nicht drinnen, welche die Eselsköpff ansehen, wie die kü ein new thor.

 

Sehen aber nicht, das gleichwol die meinung des text ynn sich hat, und wo mans wil klar und gewaltiglich verteutschen, so gehoret es hinein, denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch kriegisch reden wöllen, da ich teutsch zu reden ym dolmetzschen furgenommen hatte [Lobe17].  

 

Es sind aber nicht nur die Grübeleien auf der Kloake, sondern auch Johann von Staupitz, sein Beichtvater und Vorgänger als Professor für Bibelkunde in Wittenberg, die dem suchenden Luther Christus als Erlöser nahebringen: Vestra cogitatio ist nit Christus. Der wahre Christus stößt den Sünder nicht in Verzweiflung und Verderben, sondern ist der Erlöser, der sich selbst den Menschen zur Vergebung der Sünden anbietet! [Schi17].

*Euer Verständnis

 

Und so jubiliert der also in Christo geborene: Da begann ich Gottes Gerechtigkeit als die zu verstehen, durch die als durch ein Geschenk Gottes der Gerechte lebt, nämlich aus Glauben ... Hier fühlte ich mich geradezu neu geboren und durch die geöffneten Tore ins Paradies selbst eintreten. Da zeigte mir die ganze Schrift sogleich ein anderes Gesicht [Köpf01]. Mit so großem Haß, wie ich zuvor das Wort Gottes Gerechtigkeit gehaßt hatte, mit so großer Liebe hielt ich jetzt dieses Wort als das allerliebste hoch [Moli16].

 

 

Sola scripture, sola gratia, sola fide

 

Auf dem Reichstag zu Augsburg ignoriert Abrecht von Brandenburg den anwesenden Ketzer im Mönchsgewand. Statt seiner führt der päpstliche Legat Kardinal Thomas de Vio von Gaeta (Cajetan) am Rande der Tagung vom 13. bis 15. Oktober 1518 ein Streitgespräch mit Luther.

 

Nun geht es nicht mehr nur um den Ablass, sondern um die Freiheit des Glaubens für den Menschen, die Bruder Martin in seinem Wittenberger Turm erfuhr, als er erkannte, dass der Christengott kein »gerechter« Gott ist, sondern ein barmherziger Gott, und dass der Inhalt des Evangeliums nicht das Gesetz ist, sondern die Gnade [Frie98]

 

Auch ist für Luther eine Kirche, die die Freiheit der Entscheidung des allmächtigen Gottes durch menschliche Werke und Bußübungen beschränkt, eine Kirche ohne Gott. So schleudert er Cajetan voll Überzeugung seine drei solas entgegen: sola scripture, sola gratia, sola fide, denn nur in der Schrift, in der Gnade Gottes und im Glauben an Ihn liegt das Heil [Goer04].

 

Da ruft der Kardinal - das römische Axiom extra ecclesiam non est salus* fest im Hinterkopf - entsetzt aus: Das bedeutet eine neue Kirche bauen. Die hätte dann nicht mehr das Monopol eines Mittlers zwischen Gott und dem einzelnen Menschen. Konsequenterweise reduziert Luther die sieben Sakramente auf zwei und belässt nur Taufe und Eucharistie. Später wird er noch deutlicher, wenn er feststellt, dass der geistliche Stand ganz und gar unnütz geworden sei, denn alles, was ausz der tauff krochen ist, gilt als Priester [Goer04].

*außerhalb der Kirche ist kein Heil

 

 

Buchdruckerkunst

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sebstian Brant

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Huldrichus Zasius

Als wären die Engel selbst Botenläufer und trügen's vor aller Menschen Augen

 

Bisher hatte man mit dem vom Mainzer Hans Gensfleisch zum Gutenberg 1440 in Straßburg erfundenen Buchdruck mit beweglichen Lettern schöne und kostbare Bücher* und Dokumente produziert, die jedoch für den gemeinen Mann unerschwinglich sind. Nun bekommt das gedruckte Wort eine immer größere Bedeutung in der Form von Flugschriften und Pamphleten.

*Ab 1452 druckt Gutenberg 180 Exemplare der nach ihm benannten lateinischen Bibel mit je 1282 Seiten

 

Luther kommentiert den Siegeszug der typographia in seinen Tischreden reformatorisch: Einst war die Finsternis in allen Künsten und Wissenschaften so groß, dass niemand sie gebrauchte. Jetzt strahlen und blühen alle Künste. So hat Gott uns die Druckerei dazu geschenkt, hauptsächlich zur Unterdrückung des Papstes [Blom16].

 

Gegen Ende seines Lebens wird der Reformator sogar prophetisch: Die Druckerei ist summum et postrenum donum*, durch welches Gott die Sache des Evangeliums forttreibet. Es ist die letzte Flamme vor dem Auslöschen der Welt [Füss17].

*das höchste und letzte Geschenk

 

Doch auch die Päpste bedienen sich der Schwarzen Kunst, lassen sich doch in den vatikanischen Druckereien damit Ablassbriefe in großen Mengen, schnell und wohlfeil herstellen [Rose02]. Da will auch Gutenberg mitverdienen und druckt ab 1455 ebenfalls litterae indulgentiales.

 

Von Gutenberg gedruckter Ablassbrief

Anfänglich hat Luther mit seinen Thesen gegen den Ablass an einen akademischen Disput gedacht: Daher habe ich ein Disputationszettelchen herausgegeben, in dem ich nur Gelehrte einlud, ob sie nicht vielleicht mit mir debattieren wollten, doch die Drucktechnik hilft seine Thesen in deutschen Landen innerhalb zweier Wochen zu verbreiten [Moli16]. So vermerkt der Autor überrascht: Als wären die Engel selbst Botenläufer und trügen's vor aller Menschen Augen [Kata04]. Luther hatte mit seiner Kritik der kirchlichen Missbräuche die allgemeine Stimmung der weltlichen Regierenden und besonders die des Volkes getroffen.  

 

Eyn Sermon von dem Ablas vnn gnade durch den wirdige doctoru Martinu Lutther Augustiner tzu Wittebergk gemacht.

 

Damit auch der gemeine Mann seine Thesen wohl verstehe, reicht Luther in Frühjahr 1518 eine Kurzfassung in deutscher Sprache nach: Eyn Sermon von Ablaß und Gnade, der innerhalb von drei Jahren 26 Auflagen erreicht, Raubdrucke nicht mitgerechnet. Luther klagt: Denn des falschen druckens und bucher verderbens, vleyssigen sich ytzt viel [Blom16].

 

 

Alle alten Weiber reden auf offener Straße davon

 

In den Druckzentren Leipzig, Nürnberg, Straßburg, Augsburg, Basel, Zürich, Erfurt, auch Speyer, Mainz und Worms werden Lutherschriften eifrig nachgedruckt, bald auch reformatorische bebilderte Flugschriften, deren Texte auf Marktplätzen, in Wirtshäusern und sogar in Kirchen häufig vorgelesen* werden.

*Selbst in Städten ist nur etwa die Hälfte der Bevölkerung des Lesens kundig –

 

Am Oberrhein liefern die vielen Papiermühlen den Nachschub an Bedruckbaren. In einer Konstanzer Chronik liest man, dass Luthers Artikel und Bücher anfangs Verwunderung brachten, auch Ursach gaben, den Sachen weiter nachzudenken und die biblischen Schriften gründlicher dann vorher zu lesen [Hug17]. Aber aus eben diesem Konstanz schreibt der Generalvikar warnend im Mai 1521 einem Freund in St. Gallen: So wahr übrigens Luther schreibt, so ist doch Vieles für den schwachen Magen des Volkes zu stark; denn schon weiß durch die Schuld der Buchdrucker jeder Ungelehrte von dem Lutherischen Handel, und alle alten Weiber reden auf offener Straße davon [Hug17a].

 

 

Der Ablaß ist so ganz unwerth

 

Luther ist nicht der erste, der das Ablassunwesen kritisiert. Johannes von Wesel klagt in seiner Disputatio gegen den Ablasshandel bereits 1479 die Kirche an, über den Kanon der Heiligen Schrift hinaus Gottesgesetze zu erlassen. Man beschuldigt den schwerkranken von Wesel der Häresie. Zum Verhör betritt er von zwei Mönchen gestützt pallidus, silicernus, habens baculum in manu* das Mainzer Franziskanerkloster. Dort zwingt man ihn zum öffentlichen Widerruf, verbrennt seine Schriften, kerkert ihn ein. Er stirbt 1481 im Gefängnis [Ober03].

*bleich, greisenhaft, am Stock gehend

 

Auch Sebastian Brant geißelt 1494 in seinem Narrenschiff, dass der Ablass, dem Menschen jetzt nichts mehr wert ist, er ihm aber schließlich doch nachjagt:  

 

Der Ablaß ist so ganz unwerth,
Daß Niemand seiner mehr begehrt;
Niemand will mehr den Ablaß suchen,
Ja, Mancher möcht' ihn sich nicht fluchen,
Und Mancher gäb' keinen Pfennig aus,
Wenn ihm der Ablaß käm' ins Haus,
Und wird ihm einstmals doch nachjagen,
Müßt' er ihn holen auch zu Aachen
[Bran77].

 

Der doctor expertis et universalis Erasmus von Rotterdam verspottet 1509 in seinem Thomas Morus gewidmeten Buch Moriae encomium, id est, stulticiae laudatio* die Käufer von Ablassbriefen: Die bauen auf vermeintlichen Ablass ihre Sünden und fühlen sich dabei schon im Himmel; die Dauer des Fegfeuers berechnen sie wie mit der Uhr auf Jahrzehnt, Jahr, Monat, Tag und Stunde genau, wie nach der Rechentabelle, fehlerlos [Eras09].

*Lob der Torheit

 

 

Eine Pestepidemie sucht Freiburg 1519 heim

 

 Derweil haben in Freiburg Bürgermeister und Rath gefunden, daß die alten Satzungen der Herzöge von Zähringen an viel Orten unverständlich und mangelhaft seien und sich nach den gegenwärtigen Zeiten nicht mehr allenthalben zu Nutzen der Bürgerschaft und Einwohner ausgleichen wollen [Schr57]. Sie beschließen, sich ein neues Stadtrecht zu geben und beauftragen 1502 den Schreiber beim Stadtgericht und des ehrsamen Rates verpflichteter Doktor, den Juristen Huldrichus Zasius mit dem Entwurf eines solchen.

 

Als Zasius im Jahre 1519 immer noch an der Nüwen Stattrechten und Statuten der loblichen Statt Fryburg im Pryßgow gelegen schreibt, sucht eine Pestepidemie Freiburg heim. Er unterbricht seine Arbeit und berichtet einem Freund:

 

Die Seuche hat uns so befallen, dass nicht einmal der Vogel in der Luft sicher ist. Gift atmen wir statt Luft, Luft für Gift. Reiche fallen wie Arme, nicht etwa einer nach dem anderen, sondern scharenweise, die letzten vier Tage haben Hunderte dahingerafft ... Überdrüssig würde ich Dir werden, wollte ich nur die Hälfte der Toten aufzählen. In Trauerkleidung gehen Frauen und Mädchen, Männer hängen sich Amulette um. Du glaubst, man feiere einen ewigen Karfreitag, mit so trüben Gesichtern schreiten sie einher. Hier Tränen und Klagen, dort Stöhnen und Geschrei. Draußen und daheim, an den Straßenecken und auf der Gerichtsbank, für uns allein und in Gesellschaft sprechen wir von den letzten Dingen [Kühb04, Schm12].

 

Hat er dabei wie die Freiburger Christen 1349 an die Juden als Urheber der Pest gedacht? Immerhin ist Zasius der Ansicht, dass Juden Sklaven der Christen seien, und empfiehlt, die sie nach Christenblut dürsten, ganz im Stile des späten Luther: so grimmige Bestien … auszustoßen … aus den Gebieten der Christen auszutreiben … Man muss jenen ekelhaften Auswurf in Finsternis versinken lassen … Auch wenn man diesen Pöbel von Beschnittenen unter Christen nicht mehr duldet, wird es immer noch viele von diesen Scheusalen geben, die sich unter den Heiden herumtreiben können [Schi01].  

 

Auch im Neuen Stadtrecht hat Zasius die Juden explizit diskriminiert. Er interpretiert den Beschluss des Stadtrats von 1401, daz dekein Jude ze Friburg niemmerme sin sol der Zeit gemäß. So dürfen die Juden in Rechtsangelegenheiten kein Zeugnis ablegen, bei der Durchreise nur in einem bestimmten Haus in der Wiehre wohnen, mit Freiburger Bürgern keinen Handel treiben und keine Gemeinschaft haben [Schw13]. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften wird im Neuen Stadtrecht mit zwei Silbermark und im Wiederholungsfall mit der Ausweisung des schuldigen Bürgers bestraft.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ulrich Zasius' Trauerrede auf Maximilian

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Franciscus von Sickingen

Allein Got di er lieb den gemeinenucz beschirm di gerechtigkeit

 

 

 

François I

 

 

 

Standbild Karls V. am Freiburger Kaufhaus

 

Euer Stadtrecht zum vermehrten Wohl des Gemeinwesens klug zusammengestellt

 

Das Nüwe Stattrecht, welches neben dem Straf- und Zivilrecht auch das Prozesswesen und Abschnitte zum Baurecht enthält, dient vielen deutschen Städten zur Vorlage und bleibt in Freiburg bis zum Jahre 1784 in Kraft.  

 

Zasius hat 18 Jahre gebraucht, um sein Stadtrecht zu formulieren. Und es ist schwierig, denn schließlich ist die Welt im Umbruch vom Mittelalter in eine nüwe aufgeklärte Zeit, in der der Humanismus den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Außerdem macht Zasius in seinem Werk viele Anleihen beim römischen Recht, welches als Corpus juris civiles um das Jahr 534 unter Kaiser Justinian entstanden war.

 

Andererseits aber will Zasius die herkömmliche Weltordnung nicht umstoßen. So hält das Nüwe Stattrecht die Einwohner zur Gottesfürchtigkeit, zur Tugend und zur Orientierung am gemeinen Nutzen an und verbietet Luxus und ausschweifendes Leben unter dem Gebot der natürlichen Vernunft ähnlich wie die Religion. So stimmt Zasius anfänglich der Kritik Luthers am Ablasshandel zu, lehnt aber dann dessen gegen den römischen Stuhl gerichtete Politik strikt ab [Rüsk20].

 

Als im Jahre 1519 Kaiser Maximilian stirbt, beauftragt die Freiburger Universität Ulrich Zasius, der schon 1510 beim Tod der Kaiserin Bianca Maria die Trauerrede gehalten hatte, mit dem Nekrolog. Dabei schwingt viel Eigenlob mit, wenn Zasius ausruft: Wie sollte ich vergessen, dass er - Kaiser Maximilian - dafür gesorgt hat, dass euer Stadtrecht zum vermehrten Wohl des Gemeinwesens klug zusammengestellt, erneuert, vermehrt, aufgerichtet und bekräftigt wurde [Scha98].

 

 

Im gleichen Jahr wird Karl V. zum deutschen König gewählt

 

 Als seinen Nachfolger im Amt hatte Maximilian im Vorjahr seinen Enkel Karl, den König von Spanien und Neapel, auserkoren, ihn jedoch auf dem Augsburger Reichstag 1518 nicht durchsetzen können. Nun melden sich noch zwei weitere Anwärter auf den römischen Königs- und damit auch auf den deutschen Kaiserthron: die Könige von England, Henry VIII (1509-1547) und Frankreich, François I (1515-1547).

 

 Da zieht Franz von Sickingen im Juni mit einer Söldnerbande vor die Stadt Frankfurt und droht den dort zur Königswahl versammelten Kurfürsten Gewalt an, wenn sie nicht einen Deutschen wählen. Rasch bieten diese ihrem Kollegen Kurfürst Friedrich von Sachsen die Königskrone an, doch der lehnt weise ab [Rose02]. Die ausländischen Kandidaten aber drängen, versprechen den Wahlmännern Würden und Ämter und bestechen sie mit großen Geldsummen. Als die Einsätze zu hoch werden, gibt Henry das Rennen um den Titel auf. François dagegen macht sich weiter große Hoffnungen, zumal Papst Leo X. den französischen König ob seiner finanziellen Möglichkeiten und seiner militärischen Macht in seiner Kandidatur unterstützt.

 

Deshalb bemüht sich Rom um gute Beziehungen zu den Kurfürsten, ja Leo hält sich mit weiteren Schritten gegen Luther zurück, um Martins Dienstherren Friedrich nicht zu verärgern, in der Hoffnung, dass dieser bei der Kür für den Franzosen votiere.

 

Doch Albrecht von Brandenburg, frischgewählter Erzbischof, Kurfürst von Mainz und Erzkanzler des Reiches, steckt die Drohung Sickingens noch in den Knochen und gibt deshalb zu bedenken: Darumb ist von noten, daz man ein hern haben moge, der geforcht [gefürchtet]. - Item daz er frid und recht ufricht und halt. - Item daz er des vermogens sei, solchs zu erhalten und hanthaben. - Item der kirch und daz reich bei irem herkomen, herlickeiten und gerechtigkeiten hanthabe. - Item der den veinden und ungleubigen widerstand tun moge. - Item der dazjenige, so von dem reich von den feinden abgezogen, widerumb darzu brengen moge. - Item daz er fur sich selbs eins solchn vermogens sei, domit der arm gemein man sonder merklich ursach und not nit mit aufsetzen und schatzungen uberladen und beswert werde, dann daraus wurde nichts guts folgen, allein ein buntschuch. - Item vor allen dingen must je der konig, so man keinen Teutschen kurfursten oder fursten haben kan, von seinem stam und herkomen ein Teutscher sein, domit die ere von unser nacion nit entwendt, auch der gemein man derhalben gesetigt wurde, der dann itzonder zu entporungen und bosen ufrurn leichtlich zu bewegen ist ... [Köpf01].  Karl aus edelstem deutschen Blut, in Französisch und Flämisch erzogen, hat da vor allem sprachlich die Nase vorn, wenn er von sich sagt: Je parle espagnol à Dieu, italien aux femmes, français aux hommes et allemand à mon cheval*.

*Mit Gott spreche ich Spanisch, mit den Frauen Italienisch, mit Männern Französisch und mit meinem Pferd Deutsch.

 

Nachdem der greise Maximilian 1518 beim Augsburger Reichstag mit seinem Versuch gescheitert war, seinen Enkel von den Kurfürsten zum römischen König wählen zu lassen, hatte er Karl klargemacht, dass viel Geld, nach Möglichkeit bares Geld, erforderlich sein werde, um die französische Konkurrenz auszustechen [Rabe89].

 

 

Wie wahr: mit 851918 Fuggerschen Dukaten gut geschmiert wählen die in Frankfurt versammelten Kurfürsten den erst 19-jährigen Enkel Maximilians einstimmig gegen den vom Papst unterstützten François I zum deutschen König und Erwählten Römischen Kaiser. Zuvor jedoch muss Karl noch seine Wahlkapitulation unterschreiben, die Friedrich der Weise im Sinne der Machterhaltung der Fürsten entworfen hatte: Und in allweg sollen und wellen wir die Teutsch nation, das heilig Römisch reiche und die churfursten ... und ander fursten, grafen, herren und steende bei iren […] wirden, rechten und gerechtigkaiten, macht und gewalt, jeden nach seinem stand und wesen, beleiben lassen on unser ... verhindernus.

 

 

Plus ultra

 

Über diese Beschränkung seiner Macht mag den neugewählten König allenfalls der Brief seines Piemonteser Großkanzler Mercurino Gattinara hinweggetröstet haben: Da Euch Gott diese ungeheure Gnade verliehen hat, Euch über alle Könige und Fürsten der Christenheit zu erhöhen zu einer Macht, die bisher nur ... Karl der Große besessen hat, so seid Ihr auf dem Wege zur Weltmonarchie, zur Sammlung der Christenheit unter einem Hirten [Prei16]. Die feierliche Krönung Karls V. (1519-1556) findet im Oktober 1520 in Aachen statt.

 

Drob ist der Franzosenkönig nicht nur brüskiert, sondern fühlt sich zudem durch die Erwerbungen der Habsburger eingekreist, denn Carl der fünffte ist von Gottes Gnaden Römischer Kayser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, König in Germanien, zu Castilien, Aragon, Leon, beyder Sicilien, Hierusalem, Hungarn, Dalmatien, Croatien, Navarra, Granaten, Tolleten, Valentz, Gallicien, Majorca, Hispalis, Sardinien, Corduba, Corsica, Murcien, Giennis, Algarbien, Algeziren, Gibraltar, der Canarischen und Indianischen Insulen und der Terrae firmae des Oceanischen Meeres etc, Ertz-Hertzog zu Oesterreich, Hertzog zu Burgundi, zu Lotterich, zu Braband, zu Steyer, zu Kerndten, zu Krain, zu Limburg, zu Lützenburg, zu Geldern, zu Calabrien, zu Athen, zu Neopatrien und Würtenberg etc. Karl besitzt somit ein Reich, worin die Sonne nie unterging.

 

Auf einer Gedenkmedaille des Jahres 1548 ist der Spruch Quod in celis sol/hoc in terra Caesar est zusammen mit Karls Motto: plus ultra* eingeprägt [Schr09].

*Was die Sonne am Himmel, ist der Kaiser auf Erden und: Darüber hinaus, d. h., über die Säulen des Herkules, die an der Straße von Gibraltar stehen, reicht das Reich der spanischen Habsburger

 

 

Standbild Ferdinands I. am Freiburger Kaufhaus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Philipp Melanchton

 

 

 

 

Leipziger Disputation

 

 

 

  An den Christlichenn Adel deutscher Nation von des Christlichenn standes besserung

D' Martinus Luther
1521 

 

 

 

 

 

 

 

 

Thomas Murner aus Freiburg

 

 

 

 

 Murner:  An den groszmechtigsten und Durchlüchstigten adel tütscher nation

 

 

 

 

Von der Babylonischen gefengknuß der Kirchen/ Doctor Martin Luthers.

Karls Bruder Ferdinand soll sich um das Deutsche Reich kümmern

 

In deutschen Landen sind die reformatorischen Gedanken Luthers im Vormarsch, im Volk brodelt es gewaltig und doch (oder gerade deshalb?) gibt Großkanzler Mercurino Gattinara dem 21-jährigen Kaiser folgenden unseligen Rat:  ... Und da Italien die wichtigste Grundlage ist für alles, was Ihr von diesem Kaiserreich gewinnen könnt, um es zu bewahren und zu mehren, Ansehen zu gewinnen, in allen Euren Angelegenheiten überlegen und jedem Zwang der Verhältnisse enthoben zu sein, so ist es vernünftig, zunächst die italienischen Dinge zu bedenken, bevor man sich einer anderen, schwierigeren Unternehmung zukehrt ... [Köpf01].

 

Somit entbrennt ein 300-jähriger erbitterter Kampf zwischen den Häusern Habsburg und Valois (später Bourbon), der aber zunächst noch nicht am Rhein, sondern in der Poebene ausgefochten wird. Der Kaiser ringt mit François I in vier Kriegen um die Vorherrschaft in Oberitalien. während der Glaubensstreit das Reich deutscher Nation immer tiefer spaltet. Da muss Karl einsehen, er kann nicht alles alleine machen und übergibt anno 1522 seinem jüngeren Bruder Erzherzog Ferdinand die Länder der österreichischen Hausmacht und die Sorge um die andere schwierige Unternehmung, die Überwindung der Glaubensspaltung.

 

Der Kaiser lässt sich erst 1530 wieder in Deutschland blicken und bei der Gelegenheit - wieder mit Hilfe Fuggerscher Dukaten - Bruder Ferdinand zum Römischen König wählen. In den Zwischenjahren schlägt sich Karl in Oberitalien wacker gegen die Franzosen und schickt François mit blutiger Nase wieder und wieder nach Hause, doch was bedeuten diese Siege angesichts des den inneren Frieden des Reiches zerstörenden Religionskonflikts und der ständigen Bedrohung der Grenzen im Südosten durch die Türken.

 

 

Causa Lutheri

 

In den beiden Jahren zwischen dem Thesenanschlag und der Kaiserwahl hatte die römische Kirche, wie oben erwähnt, stillgehalten, doch nachdem Karl V. gewählt worden war, rückt die Causa Lutheri wieder in den Vordergrund.

 

Inzwischen findet Luther seine sola fide, sola gratia Auffassung im Römerbrief [1,17] weiter bestätigt, sintemal darinnen offenbaret wird, die Gerechtigkeit, die für Gott gilt, welche kompt aus Glauben in Glauben, wie denn geschrieben steht: Der wird seines Glaubens leben [Schi88], und im Epheserbrief [2,8-9] liest er: Denn durch Gnade seid ihr gerettet auf Grund des Glaubens; und das nicht aus euch selbst, nein, Gottes Geschenk ist es; nicht aus Werken, damit keiner sich rühme.

 

So folgt Luther ohne Gewissensnot der Vorladung seines Ordens, des Generalkapitels der Augustinereremiten, sich in Heidelberg am 26. April 1518 zu rechtfertigen. Doch Luther geht bei dieser Disputation kaum auf den Ablasshandel ein, sondern erläutert den Kollegen aus Deutschlands Südwesten Martin Bucer, Johannes Brenz, Martin Frecht, Theobald Billican, und anderen in seiner beeindruckenden Weise sola gratia, den Grundgedanken seiner neuen Theologie. Nicht durch Werke erlangt der Mensch Gottes Gnade, sondern allein durch sola fide, den Glauben. Anschließend treiben Bucer im Elsass, Brenz im Schwäbischen, Frecht in Ulm und Billican in Nördlingen die Reformation voran.

 

 

Denn sie saßen allezeit neben Dr. Eckio und schliefen ganz sanft

 

In einer mehrtägigen Disputation vor Publikum diskutieren vom 27. Juni bis zum 15. Juli 1519 in Leipzig zunächst Andreas Bodenstein von Karlstadt über Abendmahlslehre und Dreifaltigkeit und ab dem 4. Juli Luther mit dem Ingolstädter Professor Johannes Eck. Beim Ablass ist man sich schnell einig, wie Luther später schreibt: Der Ablaß fiel gänzlich, Eck stimmte mit mir fast in allem überein und die Verteidiger des Ablasses wurden verlacht und verspottet [Schi17].  

 

Dagegen kämpft Eck bei der Auseinandersetzung über das Primat des Papstes und die Gewalt der Konzilien mit allen Mitteln. So versucht er, Luther in die Nähe von Jan Hus zu rücken und überzieht ständig seine Redezeit. Wütend ist er besonders auf Melanchton, der hinter Luthers Katheder sitzt, ihm zuflüstert oder Zettel zusteckt. Auch Eck wird solche Unterstützung zuteil, die ausgewählten Leipziger Theologen sind ihm jedoch wenig Hilfe, denn sie saßen allezeit neben Dr. Eckio und schliefen ganz sanft [UniL08].

 

Johannes der gefürchtete Vielredner spricht Latein mit seinem schwäbischen Akzent [Rose02]. Martin mit seiner sächsisch gefärbten Diktion hält kräftig dagegen, als er die Autorität der Kirche noch mehr in Frage stellt:  Nicht nur der Papst, sondern auch Konzile können irren, wie das von Konstanz, welches einige Sätze des Jan Hus verurteilt habe, obwohl diese in der Heiligen Schrift begründet sind [Rabe89]. Nach dieser Feststellung Luthers ruft Eck entsetzt aus: Lass dein Gewissen fahren Martinus, du bist im Irrtum! [Dema00], und Luther muss anschließend feststellen: Das übel angefangene Leipziger Unternehmen war noch ärger ausgegangen! [Schi17]..

 

Viele Theologen sehen mit der Leipziger Disputation den Bruch zwischen den Katholiken und Lutheranern als vollzogen an, nicht so ein Zeitgenosse, der Herzog des albertinischen Teils von Sachsen Georg der Bärtige (1500-1539), der beschwichtigend meint: gar vil disputacion zcu leipczig ghalten de trinitate, de sacramento ewcaristie vnd von an dern artikeln des glaubens vnd ist doch nimande kein wegerung gschen, es ist och got lob kein entlich beschlosß wider kristlichen glawben decemirt, sal och ab got wil forder nich gschen, hilten wir dor vor, es sollt in dem ab eynn sele kegen himel fure, wen der pfennig im begken klingt wol zu disputiren zcü lossen sein [UniL08].

 

 

Luther setzt auf die deutsche Karte

 

Am 29. März 1520 erscheint Luthers Auslegung der zehn Gebote als Büchlein: Sermon von den guten Werken; doch Bruder Martin steht nach aufreibenden und letztlich ergebnislosen religiösen Disputationen und nach Androhung von Bann und Acht mit dem Rücken zur Wand.

 

*

Da spielt er als seinen letzten Trumpf die nationale Karte aus, als er im August 1520 seiner Schrift An den Christlichenn Adel deutscher Nation von des Christlichenn standes besserung die Gravamina anfügt und der allerdurchlauchtigsten, großmächtigen Majestät und dem Adel zuruft: Wie kommen wir Deutschen dortzu, das wir solche reuberey, schinderey unserer güter von dem babst leyden mussen? hat das kunigreich zu Franckreich sichs erweret, warumb lassen wir Deutschen uns alszo narren und effen?

 

Das sind keine religiöse Argumente. Ganz im Sinne der von den Ständen immer wieder vorgebrachten Gravamina weiß Luther, geschickt an den Geldbeutel der Landesfürsten zu appellieren,  das ierlich mehr dann dreymal hundert tausent gulden auß deutsch land gen Rom kommen. Die deutsche Nation, Fürsten und Bischöfe sollen das Volk gegen diese Abgaben an den Papst (die Annaten) schützen. Luther fährt fort: dan der bapst hat den pact brochen unnd ein reuberey gemacht ausz den Annaten. zu schaden und schanden gemeyn deutscher Nation [Schm99]. Diese Worte fallen bei der Mehrheit der Stände auf fruchtbaren Boden: Warum sollte in deutschen Landen ein nationalkirchlicher Kurs nicht möglich sein, wie ihn die Franzosen praktizieren*.

*Schon 1438 hatte Karl VII. in einer Ordonnance die Interessen der französischen Krone gegenüber dem Papst definiert und im Konkordat von Bologna 1516 hatte Leo X. dem französischen König François I. und seiner Ecclesia Gallicana z.B. weitgehende Freiheiten bei der Wahl eines Bischofs zugestanden [Ober03]. Danach ernennt der König einen Wunschkandidaten, den der Papst dann sein Amt einsetzt.  

 

 

Martinus Luther einverfierer der einfeltigen christen

 

Die römische Kirche reagiert prompt. So antwortet der Freiburger Franziskanermönch Thomas Murner, der zunächst noch anonym Ein christliche und briederlich ermanung zuo dem hochgelerten doctor Martino Luter gerichtet hatte, dem Wittenberger Augustinermönch 1520 mit einer antireformatorischen Kampfschrift: An den groszmechtigsten und Durchlüchstigten adel tütscher nation das sye den christlichen glauben beschirmen wyder den zerstörer des glaubens christi Martinus Luther einverfierer der einfeltigen christen. Darin betont Murner, dass Reformen nur den von Gott eingesetzten kirchlichen Autoritäten zustünden und Laien und Klerus scharf voneinander zu trennen seien [Aurn06].

 

Der Papst als Antichrist (Flugschrift)

 

Luther ist unbeeindruckt und veröffentlicht noch im gleichen Jahr seine Schrift über die Knechtung der Kirche (für den Klerus ausnahmsweise auf Latein): De captivitate Babylonica ecclesia, davon schon bald eine deutsche Übersetzung erscheint: Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Die Lehre der heiligen Sakramente sei zum Herrschaftsinstrument der römischen Amtskirche Roms verkommen, indem deren Verwaltung und Austeilung der Priesterkaste vorbehalten ist. Die Christen seien damit entmündigt und an den Papst gekettet.

 

Von den traditionell sieben Sakramenten der mittelalterlichen Kirche haben in einer evangelisch gereinigten Kirche nur die drei im Neuen Testament nachgewiesenen Sakramente Abendmahl, Taufe und Buße Bestand und sind aus der Usurpation durch den römischen Priesterstand zu befreien.

 

 

Von der Freyheyt eyniß Christen menschen

 

Als Antwort überbringt Johannes Eck höchstpersönlich Ende 1520 aus Rom die päpstliche Bulle Exsurge Domine, in der Papst Leo X. Luther den Kirchenbann androht, sofern er nicht innerhalb 60 Tagen 41 seiner Sätze,  die irrig, häretisch, ärgernis-erregend, für fromme Ohren anstößig und für einfache Gemüter verführerisch sind, widerruft [Rabe89].

*Erhebe Dich Herr und führe Deine Sache gegen den in Deinen Weinberg eingebrochenen häretischen Fuchs [Schi17].

 

Martin Luther 1520 von Lukas Cranach. Das lateinische Distichon lässt sich wie folgt übersetzen:

 

Luther selbst gestaltet des Geistes ewige Bilder,
des Lukas' Wachs fixiert das vergängliche Antlitz.

 

Erasmus von Rotterdam hatte schon 1509 in seinem Lob der Torheit gegen das Machtinstrument des Kirchenbanns polemisiert und überhaupt steht seine Kritik an der Amtsführung der Päpste der eines Martin Luther in keiner Weise nach: Da sind [die Päpste] nun wirklich recht freigebig mit Interdiktionen, Suspensionen, Aggravationen, Redaggrava-tionen, Anathematizationen, mit Bildern der Höllenpein des Verfluchten und dann mit jenem schrecklichen Strahl, der auf einen Wink die Seelen der Sterblichen noch unter die tiefste Hölle hinabschmettert. Ihn freilich schleudern die heiligsten Väter in Christo und Stellvertreter Christi gegen niemand mit solcher Wucht wie gegen die Vermessenen, die vom Teufel gereizt, das Erbe Petri zu mindern und anzunagen versuchen. Im Evangelium steht zwar Petri Wort: Wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt; sie aber heißen sein Erbe Ländereien, Städte, Steuern, Zölle und Herrschaftsrechte. Erst wenn ein Papst, voll heiligen Eifers für Christus, zum Schutz dieser Güter mit Feuer und Schwert sich zur Wehre setzt und dabei Christenblut stromweise verspritzt, glaubt er die Kirche, die Braut Christi nach rechter Apostelart zu verteidigen; zerschmettern will er ihre Feinde - so lautet der Ausdruck, wie wenn die Kirche schlimmere Feinde hätte als gewissenlose Päpste, deren Schweigen den Heiland der Vergessenheit preisgibt, deren erpresserische Gesetze ihn ausbeuten, deren verdrehte Auslegungen ihn entstellen, deren sündhaftes Leben ihn kreuzigt [Eras09].

 

Wird Erasmus für diese starken Worte nur deshalb nicht zur Rechenschaft gezogen, weil er sie in seinem Buch der Göttin Torheit in den Mund legt? Später im Jahre 1533 wird der Franziskaner Nikolaus Herborn vermuten: Vielleicht hat Erasmus die Eier gelegt, die Luther und die anderen nur ausgebrütet haben [Hug97].

 

Als Antwort auf die Bannandrohung schickt Luther seine Schrift Von der Freyheyt eyniß Christen menschen, in der er die Grundlagen seiner christlichen Ethik entwickelt an Leo X. Nun ist es ganz klar: Das Jüngste Gericht ist nah und auf dem Stuhl Petri sitzt der in der geheimen Offenbarung angekündigte Antichrist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bulla contra errores Martini Lutheri
et sequacium

 

 

 

 

Erasmus von Rotterdam

 

Diese tollen Hunde, die Deutschen

 

Mit den Worten: Nun fahr dahin, du unseliges, verdammtes, lächerliches Rom! schleudert Luther die Bulle Exsurge Domine am 10. Dezember 1520 vor dem Elstertor in Wittenberg in die Flammen [Hug17a].  Am 3. Januar 1521 exkommuniziert ihn Leo X. mit der Bulle Decret Romanum Pontifecem.

 

 Luthers Schriften heizen die politische Atmosphäre im Lande gewaltig auf. Der hochgebildete Humanist und päpstliche Nuntius Kardinal Hieronymus Aleander schreibt Anfang 1521 nach Rom: Jetzt aber ist ganz Deutschland in hellem Aufruhr; neun Zehnteile erheben das Feldgeschrei: Luther! und das übrige Zehntel, falls ihm Luther gleichgültig ist, wenigstens: Tod dem römischen Hofe! Jedermann verlangt und schreit nach einem Konzil. Aleander vermutet eine Verschwörung unter deutsche Fürsten, die Rom mit dem Luthertum erpressen wollen, wobei sie den sächsischen Drachen, das feiste Murmeltier mit dem dämonischen stechenden Blick als Marionette nur vorschieben [Rein17].

*Aleander beherrschte 12 Sprachen darunter Arabisch, sprach aber kein in seinen Ohren barbarisch klingendes Deutsch

 

Und ein wenig später: Diese tollen Hunde, die Deutschen, sind ausgerüstet mit den Waffen des Geistes und des Armes und wissen sich trefflich zu rühmen, dass sie nicht mehr die dummen Bestien sind wie ihre Vorfahren, dass sie das Wasser des Tibers in ihren Rhein herübergeleitet, dass Italien ihnen den Schatz seiner Wissenschaften habe abtreten müssen [Schm99].

 

 

Sollen sie ein Feuer machen

 

Auf einen Kirchenbann folgt üblicherweise automatisch die Reichsacht, doch Karl V. steht zu seinem Wahlversprechen: Niemand darf ungehört in die Acht erklärt werden. In Luthers Fall fragt man Erasmus um Rat, der noch 1519 in einem Brief den Reformator zur Mäßigung aufgerufen hatte: So viel wie möglich halte ich mich neutral, um desto mehr dem Wiederaufblühen der Wissenschaft nützlich zu sein. Meines Erachtens kommt man mit bescheidenem Anstand weiter als mit Sturm und Drang [Salt09].

 

 Nun sagt auf Erasmus’ Vorschlag hin Karl V. Luthers Landesherrn Friedrich dem Weisen zu, dem Doktor aus Wittenberg freies Geleit nach Worms zu gewähren. Dort 1521 auf dem Reichstag, so der Kaiser in seiner höflich abgefassten und durch Boten zugestellten Zitation, sollen gelerte vnd hochverstendige personen ihn verhören: WIR haben beschlossen, wir und des heiligen Römischen Reichs Stände, der Lehre und Bücher halben, so von dir ausgegangen, von dir Erkundigung zu empfahlen [Rank20].

 

Am 29. März 1521 erhält Luther die kaiserliche Einladung nach Worms, doch er ist gewarnt. Auch Hus hatte man freies Geleit versprochen, doch war er 1415 beim Konzil in Konstanz verbrannt worden und 23 Jahre zuvor hatte Savonarola in Florenz das gleiche Schicksal erleiden müssen. Bruder Martinus aber schlägt alle Bedenken in den Wind: Sollen sie ein Feuer machen, das zwischen Worms und Wittenberg bis an die Wolken reicht: ich werde dem Behemot* in sein Mauls zwischen die Zähnen treten und Christus bekennen.

*nilpferdartiges Tierim Buch Hiob 40:15

 

 

Hus ist verbrannt worden, nicht aber die Wahrheit mit ihm

 

Luther bricht am 2. April 1521 von Wittenberg mit vielen Kollegen nach Worms auf. Seine Reise gleicht einem Triumphzug. Über Leipzig, Naumburg und Weimar kommt er am 6. April nach Erfurt. Obgleich ihm auferlegt wurde, auf seiner Reise nicht zu predigen, erläutert Luther den Menschen dort seine Lehre in der übervollen Augustinerkirche. Die Massen jubeln auch in Gotha, Eisenach und Frankfurt.

 

Doch Luthers Anspannung ist groß und das äußerst sich in akuten Verdauungsbeschwerden, über die Luther seinen Freunden nach Wittenberg freimütig berichtet: Der Herr hat mich im Hintern mit großen Schmerzen geschlagen. So hart ist der Stuhlgang, dass ich gezwungen werde, ihn mit großer Kraft bis zum Schweißausbruch herauszustoßen. Je länger ich es aufschiebe, desto mehr verhärtet er sich. Gestern habe ich nach vier Tagen einmal ausgeschieden. Dadurch habe ich die ganze Nacht weder geschlafen, noch habe ich bis jetzt Ruhe [Schi17].  

 

Bei seinem Einzug in Worms auf einem Pferdekarren am Vormittag des 16. April erschallen Trompeten vom Turm des Domes, so als erwarten die Menschen den neuen Messias. Als Luther begleitet von einer Kavalkade sächsischer Adliger schließlich in sein Domizil, den Johanniterhof der Stadt, kommt, meint er:  Hus ist verbrannt worden, nicht aber die Wahrheit mit ihm. Ich will hinein, und wenn soviel Teufel auf mich zielten, wie Ziegel auf den Dächern sind [Dema00].

 

 

 

 

 

Unschuldig Lämmlein Karl

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Antwort Doctoris Martini Lutheris vor K. M. vnd Fürsten des Reichs auff ansuchung der bücher vndter seinem namen außgegangen so er gefordert auf dem Reichstag gen Wormbs

Jm Jhar. MDxxi

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hieronymus Aleander

 

 

 

 

Titelseite des Wormser Edikts:

Der Römischen Kaiserlichst Maiestat Edict wider Martin Luther Bücher vnd lere seyne anhenger Enthalter vnd nachvolger vnnd Etlich annder schmeliche schrifften. Auch Gesetz der Druckerey.

 

 

 

Wormser Edikt mit der Unterschrift Karls V.

Luther in Worms

 

Luther tritt übrigens nicht vor dem Reichstag auf, sondern steht während zweier Tage den Ständen und dem jugendlichen Karl gegenüber, dem der Papst den Titel Erwählter Römischer Kaiser verliehen hatte, was Karl erlaubt, schon vor seiner Krönung den Kaisertitel zu führen.

 

Über Karl hatte Luther bei dessen Amtsantritt 1520 in seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation begeistert geschrieben: Gott hat uns ein junges, edles Blut zum Haupt gegeben und damit viel Herzen zu großer Hoffnung erweckt [Zerb16]. Und Karl hatte vor dem Wormser Reichstag in einer Proposition verlauten lassen: Er habe das Kaiseramt nit umb aigens nutz willen angestrebt, sondern zur aufnehmung und widerbringung des heiligen reichs, auch merung und erhöhung unseres heiligen Glaubens, und damit die veinde desselben dort leichter vertilgt werden [Schi17].  

 

Die erste Begegnung zwischen Karl und dem Wittenberger Augustinermönch findet am 17. April um 4 Uhr nachmittags im Wormser Bischofshof statt. Der 21-jährige Kaiser ist von Luther nicht beeindruckt und meint: Der soll mich nicht zum Ketzer machen [Schi88]. Das beruht auf Gegenseitigkeit, wenn Luther vom jugendlichen Karl sagt: Er saß wie ein unschuldig Lämmlein zwischen Säuen und Hunden.

 

Der englische Schriftsteller David Winder ist sich nicht ganz sicher, when in 1521 Charles was face to face with Martin Luther at the Diet of Worms, whether he was thinking more about the perils of heresy or about the almost unimaginable great shiploads of Mexican treasure which had arrived for him in Brussels*[Wind13].

*ob Karl, als er 1521 Luther gegenübersaß, eher an die Gefahren der Ketzerei oder an die unglaublichen Schiffsladungen mit mexikanischen Schätzen dachte, die für ihn in Brüssel angekommen waren.

 

Vielleicht hatte Luther eine Disputation mit einem der Säue, seinem alten Widersacher Johannes Eck, dem Schwein aus Ingolstadt*, erwartet, doch befragt ihn stattdessen ein anderer Eck, auch Johann von Ecken genannt, seines Zeichens Dr. iur. utr. also Doktor beider Rechte (weltlich und kirchlich), kurtrierischer Offizial, d.h., Vorsitzender des Trierer Kirchengerichts, aber auch Priester. Von Eck verweigert Luther eine Disputation und beschränkt sich darauf, wie mit Nuntius Aleander vereinbart, ihn zu fragen, ob er die Inhalte seiner Bücher widerrufe.

*So und auch als Dr. Sau pflegt ihn Luther zu bezeichnen

 

Es liegen 20, nach anderen Augenzeugen 30 Schriften auf einem Tisch. Bruder Martin bekennt sich dazu, doch Aleander schreibt später nach Rom, dass Luther lügt, denn nicht alle Schriften sind von ihm. Wegen des angemahnten Widerrufs windet er sich und möchte sich vorbereiten: Denn diese sach betreff gottes wort, das das allerhohste ding in himmel und auf erden sei. Er wolle nicht Gefahr laufen, in Christi Urteil zu fallen, der gesagt hat: wer sich mein schemt auf erden, des werd ich mich schemen vor meinem himmlichen vatter und seinen engeln [Schi17].  Luther erbittet sich Bedenkzeit, die ihm gewährt wird.

 

Nicht nur Luthers Dienstherr, der sächsische Kurfürst, ist vom ersten Auftritt seines Doktors enttäuscht, zumal Luther wegen der Präsenz der vielen hohen Herren und der Eloquenz Johann von Eckens wohl ein wenig eingeschüchtert mit niderer stimm, also zu leise für die Ohren der meist älteren Anwesenden, gesprochen hatte. Aleander ist optimistisch: Luther hat viel von seinem Ansehen verloren.

 

Luther mit Johann von Eck. Im Hintergrund der Kaiser und sechs Kurfürsten.
Der siebte, der böhmische, kam auch diesmal nicht zum Reichstag.

Auch am nächsten Nachmittag lässt von Eck Luther wissen: Vergeblich erwartest du, Martinus, eine Disputation über Dinge, die du mit gewissem und ausdrücklichem Glauben zu glauben verpflichtet bist. Im Gegenzug weigert sich Luther, seine Schriften zu widerrufen, und erklärt: Seine Schriften gehörten drei Gattungen an: solchen über den christlichen Glauben, solchen gegen das Papsttum und solchen gegen einzelne Personen der römischen Tyrannei. Bücher der beiden ersten Gruppen werde er nicht widerrufen, die der dritten zwar ebenfalls nicht, doch sei er in ihnen heftiger vorgegangen als mit der heiligen Sache vereinbar und feuert seine Wortsalven in das kaiserliche Antlitz: Das durch die gesetze des babsts … die gewissen der cristglaubigen aufs allerjemmerlichst … gepeinigt seint, auch die guter und habe (dieser) hochrumlichen Teutschen nation durch unglaubliche tirannei verschlunden und erschopft worden seien [Zerb16, Schi17]. Luther spielt hier geschickt auf die Gravamina Teutscher Nation an.

 

Jetzt fühlt sich Aleander in seiner Ansicht bestätigt, dass Luther von den deutschen Fürsten gesteuert wird und ist entsetzt als Bruder Martin sogar das Konstanzer Konzil ablehnt, denn ein Konzil urteilt nur recht, wenn es sich auf die Bibel beruft. Woher nimmt dieser delierende Psychopath nur seinen Alleinauslegungsanspruch der Bibel? [Rein17],

 

Anschließend fährt Luther auf Latein fort, der lingua franca des Mittelalters, damit auch Kaiser Karl ihn versteht: Nisi con victus fuero testimoniis scripturarum  aut ratione evidenti, nam neque papae neque concilio solis credo cum constet eos errasse saepius et sibi ipsis contradixisse, vinctus sum scripturis a me adductis, et capta conscientia in verbis Dei, revocare neque possum neque volo, cum contra conscientiam agere neque tutum neque integrum. Gott helf mir. Amen.* Luthers Abschluss ist deutsch.

*Wenn ich nicht überzeugt werde durch Zeugnisse aus den Heiligen Schriften oder durch einleuchtende Vernunftgründe, denn weder dem Papst noch irgendwelchen Konzilsbeschlüssen allein glaube ich, da feststeht, dass sie öfters geirrt haben und sich gegenseitig widersprochen, fühle ich mich uberwunden (überzeugt) durch die schriften, so von mir gefurt (angeführt, zitiert.) und gefangen im gewissen an dem wort gottes, derhalben ich nicht mag noch will widerrufen, weil wider das gewissen zu handeln beschwerlich, unheilsam und ferlich (gefährlich) ist. Gott helf mir! Amen

 

 Alexander Demandt schreibt in seinem Buch Sternstunden der Geschichte überaus lebendig über den weiteren Verlauf der Sitzung: Die Reaktion im gedrängt vollen Saal war ein groß Geschrei. Der Kaiser ging und erklärte, er habe genug. Es war sieben Uhr geworden. Eine jubelnde Menge umfing den Reformator und geleitete ihn in sein Quartier. Ein Augenzeuge spricht von fünftausend Menschen, welsch und teutsch. Als Luther die Herberge betrat, warf er die Arme in die Luft und rief: Ich bin hindurch, ich bin hindurch! Die spanischen Reiter freilich riefen: Al fuego! - ins Feuer mit ihm! Friedrich der Weise äußerte sich teils bewundernd, teils besorgt: Wohl hat der Pater Martinus geredet vor dem Herrn Kaiser und allen Fürsten und Ständen und fügt jedoch hinzu: Er ist mir vil zu küne [Schi17]. Herzog Erich von Braunschweig schickte Luther eine silberne Kanne mit Einbecker Bier in den Johanniterhof; Landgraf Philipp von Hessen reichte Luther die Hand und sprach: Habt Ihr recht, Herr Doktor, so helf Euch Gott.

 

Zwar trösten Luther Bier und Zuspruch, doch hatte er insgeheim auf die Zustimmung der deutschen Kurfürsten gehofft, als er dem Papst vorwarf, dass seine Gesetze das Gewissen der Gläubigen elend in Fesseln geschlagen, misshandelt und gefoltert hätten und dass vor allem in der ruhmreichen deutschen Nation Hab und Gut verschlungen würden [Rabe89].

 

 

Ich werde ihn nie wieder hören

 

Der Kaiser setzt in der Nacht eigenhändig und ohne Ratgeber ein Schriftstück in lingua Borgognona, in burgundischer, das heißt französischer Sprache auf:

 

Ihr wisst, dass ich abstamme von den allerchristlichsten Kaisern der edlen deutschen Nation, von den katholischen Königen von Spanien, den Erzherzögen von Österreich, den Herzögen von Burgund, die alle bis zum Tode getreue Söhne der römischen Kirche gewesen sind, Verteidiger des katholischen Glaubens, der geheiligten Bräuche, Dekrete und Gewohnheiten des Gottesdienstes ... So bin ich entschlossen, festzuhalten an allem, was seit dem Konstanzer Konzil geschehen ist. Denn es ist sicher, dass ein einzelner Bruder irrt, wenn er gegen die Meinung der ganzen Christenheit steht, da sonst die Christenheit tausend Jahre oder mehr geirrt haben müsste. Deshalb bin ich entschlossen, meine Königreiche und Herrschaften, Freunde, Leib und Blut, Leben und Seele einzusetzen. Das wäre eine Schande für uns und für Euch, Ihr Glieder der edlen deutschen Nation, wenn in unserer Zeit durch unsere Nachlässigkeit auch nur ein Schein der Häresie oder Beeinträchtigung der christlichen Religion in die Herzen der Menschen einzöge. Nachdem wir gestern die Rede Luther hier gehört haben, sage ich Euch, dass ich bedaure, so lange gezögert zu haben, gegen ihn vorzugehen. Ich werde ihn nie wieder hören; er habe ein Geleit; aber ich werde ihn fortan als notorischen Ketzer betrachten und hoffe, dass Ihr als gute Christen gleichfalls das Eure tut [Schm06].

 

 Diese Erklärung wird am 19. April verlesen. Viele, die sie hören, werden dabei bleich wie der Tod [Dema00] .

 

 

 

Nutiuns Aleander entwirft schließlich die Reichsachterklärung gegen Luther. Zwar geben die Stände zu bedenken, dass, wenn Luther in die Reichsacht genommen wird, Aufstände des gemeinen Mannes zu befürchten sind, und weigern sich dem Papier zuzustimmen, doch bald wird überall in Teutschland als Maueranschlag folgender Text hängen: Das Ir sametlich vnd sonderlich den vorgemelten Martin Luther. Nit Hauset hofet. Etzt (beköstigt) drencket (tränket) noch endhaltet (unterhaltet). noch yme mit worten und wercken, Haimlich noch offenlich kaynerlai hilff, Beystand, noch fürschub beweiset. Sonder wo Ir yn alßdann ankomen vnd betretten vnd des mechtig sein mögt, In fencklichen (Gefängnis) annemet, vnd vns wolbewart zusendet, oder das zuthun bestellet. oder vns das zum wenigisten, so er zu Hannden bracht wirdet vnerzogentlich verkündet, vnd anzaiget, vnd yne dazwischen also fencklichen behaltet. bis Euch von vnns beschayd, was Ir ferrer (ferner) nach Ordnung der Recht, gegen Ime hanndeln söllet gegeben, Vnnd ir vmb solich hailig werck Auch Eüer Müe vnd Costen zimliche Ergetzlichait (Ergötzlichheit = Belohnung) emphahen werdet. Aber gegen seinen mitverwandten Anhengern. Enthaltern Fürschiebern, Gönnern, Vnd nachvolgern, Vnd derselben beweglich vnd unbeweglich güeter. Sollet Ir in Crafft der hailigen Constitution, Vnd Vnser, vnd des Reichs Acht, vnd Aberacht, diser weise handeln. Nemlich. Si nider werffen, vnd Fahen (Fahnen?), vnd Ire güeter, zu Ewern handen nemen, vnd die in Ewrn aigen nutz wenden, vnd behalten, on menigcklichs verhinderung. Es sei das si durch glaublichen schein anzaigen, das Si disen vnrechten weg, verlassen, vnd Babstliche Absolution erlangt haben [Noth83].

 

Das Wormser Edikt stellt unter Strafe, das Ewr kainer des obgenannten Martin Luthers schrifften von vnserem hailigen Vater Babst, wie onstet, verdambt, vnd all annder schrifften in latein vnnd Deütsch, oder in ander Sprach bisher durch ine gemacht sein, oder hinfür gemacht werden. Als Böß, Argwenig vnd verdechtlich vnd von einem offenbarn hartneggicken Ketzer außgegangen. Kauff, verkauff, lese Behalt, Abschreib, Druck, oder abschreiben, oder Drucken lasse, noch seiner Opinion zufall, die auch nit halt, Predig noch beschirme, noch das in ainich ander weg, wie Menschen Sinn das bedencken kan understee, Vnangesehen ob darin etwas guts den Ainfeltigen Menschen, damit zu betriegen, eingefürt were. Diese Schriften sollen nit allein vermitten (vermieden), sondern auch ... von aller Menschen gedechtnus, abgethan vnd verdilgt werden. Damit Sie niemands schaden, oder Ewiglich tödten [Noth83]. Luther gilt als Teufel in der Mönchskutte und Verbreiter von unzähligen, in einer stinkenden Pfütze versammelten Bosheiten.

 

Die beschwerungen des hailigen Rö. Rey. vn besonderlich gantz Teutscher Nation /von Stül zu Rom/ vn seiner anhängende gaystlichkait/ zu Worms im Reychs tag des 1521. jar/ Rö Kay May. von den Churfürsten/ Fürsten/ vn Stenden des Reychs für gepracht.

 

 Karl unterschätzt den Einfluss Luthers gewaltig und tut den kirchlich-theologischen Disput als Mönchsgezänk ab. Zwar will auch der Kaiser kirchliche Reformen, doch aus politischen Gründen muss er Rücksicht auf die römische Kirche nehmen, die die Klammer seines multinationalen Reiches ist. Ein Ständeausschuss am Wormser Reichstag vermerkt immerhin, dass Luthers und Huttens schreiben des babst und ander gaistlich unordung halb, ausgenomen was den heiligen cristenlich glauben betrifft, ... dannoch bei den stenden etwas gewurkt hat. Dieses Etwas mag in der Tat in den Text der beschwerungen von 1521 eingeflossen sein.

 

 

 

 

 

Junker Jörg

 

Luther ist ernüchtert und schreibt seinem Freund Lucas Cranach in Wittenberg: Er habe erwartet, dass der Kaiser ein Doctor oder fünfzig versammlet habe, um ihn, den Münch, redlich zu überwinden. Stattdessen: So ist nichts mehr hie gehandelt denn so viel: Sind die Bücher dein? Ja. Willtu sie widerrufen oder nicht? Nein. So heb dich!

 

Auf dem Rückweg von Worms verschwindet Luther spurlos. Er weiß um seine Entführung, wenn er bei seiner Durchreise aus Frankfurt an Lucas Cranach nach Wittenberg schreibt: Ich laß mich eintun und verbergen, weiß selbst noch nicht wo, und wiewohl ich lieber hätte von den Tyrannen, sonderlich von des wütenden Herzog Georgen zu Sachsen Händen den Tod erlitten, muß ich doch guter Leut Rat nicht verachten bis zu seiner Zeit ... Es muß ein klein Zeit geschwiegen und gelitten sein, ein wenig, so sehet ihr mich nicht, und aber ein wenig, so sehet ihr mich, sprach Christus. Ich hoff, es soll itzt auch so gehen [Noth83, Schi17].

 

Seinem Freund Georg Spalatin, Hofprediger, Geheimschreiber und Beichtvater Kurfürst Friedrichs schreibt Luther, dass er sich in einem Kloster in Böhmen aufhalte: So bin ich nun hier, meine Kutte hat man mir abgenommen und ein Reitersgewand angezogen. Ich lasse mir Haare und Bart wachsen. Du würdest mich schwerlich erkennen, da ich mich selber schon nicht mehr wiedererkenne. Jetzt lebe ich in christlicher Freiheit, frei von allen Gesetzen jenes Tyrannen und bittet Georg, diesen Brief, um eine falsche Fährte zu legen, absichtlich zu verlieren [Bemm07].

 

In ganz Deutschland brodelt die Gerüchteküche. Albrecht Dürer, den die Schriften Luthers von seinen seelischen Ängsten befreit hatten und der deshalb den Reformator in kupfer stechen möchte zu einer langen gedechtnus des kristlichen Mannes berichtet auf seiner Niederländischen Reise in seinem Tagebuch: Item am Freitag vor Pfingsten im 1521 Jahr kamen mir Mär geng Antorff (Antwerpen), daß man Martin Luther so verräterlich gefangen hätt. Dann do ihn des Kaisers Carols Herold mit dem kaiserlichen gleit war zugeben, dem wart vertrauet. Aber sobald ihn der Herold bracht bei Eyßenach in ein unfreundlich Ort, saget [er], er dörfte sein nit mehr, und ritt von ihm. Alsbald waren 10 Pferd do, die führten verräterlich den verkauften frommen, mit dem heiligen Geist erleuchteten Mann hinweg, der do war ein Nachfolger Christi und des wahren christlichen Glaubens.

 

Und lebt er noch oder haben sie ihn gemördert, das ich nit weiß, so hat er das gelitten um der christlichen Wahrheit willen und um daß er gestraft hat das unchristliche Papsttum, das do strebt wider Christus Freilassung mit seiner großen Beschwerung der menschlichen Gesetz ... Ach Gott vom Himmel, … so wir diesen Mann verlieren, der do klärer geschrieben hat dann nie keiner …, den du ein solchen evangelischen Geist geben hast, bitten wir dich, o himmlischer Vater, daß du deinen heiligen Geist wiederum gebest einem andern, der do dein heilige christliche Kirch allenthalben wieder versammel.

 

O Gott, ist Luther tot, wer wird uns hinfürt das heilig Evangelium so klar fürtragen! Ach Gott, was hätt er uns noch in 10 oder 20 jahrn schreiben mögen! O ihr alle frommen Christenmenschen, helft mir fleißig beweinen diesen gottgeistigen Menschen und ihn bitten, daß er uns ein andern erleuchten Mann send [Köpf01, Schi17].

 

 

Bildunterschrift zum Junker Jörg von Lucas Cranach:

 

Quesitus toties, toties tibi Rhoma petitus
En ego per Christum vivo Lutherus adhuc
Vna mihi spes est, quo non fraudabor, Jesus
Hanc mihi dum teneam, perfida Rhoma vale*.

*So oft auch von Dir, Rom, gesucht und verfolgt,
Siehe, ich Luther, lebe durch Christus noch immer.
Jesus, von dem ich nicht betrogen werde, ist meine Hoffnung,
Solange ich diese habe, leb wohl Du falsches Rom.

 

 

Furchtbar harter Stuhlgang

 

Luther alias Junker Jörg ist während seiner Schutzhaft auf der Wartburg nicht glücklich. In seiner Wüste, seinem Patmos vermisst er den menschlichen Kontakt: Weh dem, der allein ist. Fällt er, so hat er niemanden, der ihm aufhilft [Noth83]. Noch 1544 erinnert er sich in einer Vorlesung über das erste Buch Mose: Wer einsam ist und von Freunden verlassen, dem fällt die Einsamkeit aufs Herz, und mag er sich gleich mühen und dagegen ankämpfen, der Sieg wird ihm doch nur nach gewaltigen Anstrengungen. Leichter fällt das alles, wenn man einen vertrauten Bruder an seiner Seite hat, wie schon Matth. 18,20 gesagt sei* [Noth83]

*Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

 

Luther wird trübsinnig, klagt in Briefen an seine Freunde über furchtbar harten Stuhlgang, tausend Teufel, viele böse und listige Dämonen und neue Glaubenszweifel. Im Vorwort zu seiner Schrift Vom Mißbrauch der Messe schreibt er im November 1521 an seine Glaubensbrüder in Wittenberg: O wie viel grösser mühe und arbeyt, auch durch gegründte heylige schrifft, hab ich meyn eygen gewissen kaum konnen rechtfertigen, das ich, eyner alleyn, widder den Bapst habe dürffen auff tretten, yhn fur den Antichrist hallten, die Bisschoff fur seyn Apostel, die hoehen schulen fur seyn hurr heußer (Hurenhäuser)! Wie offt hatt meyn hertz getzappelt, mich gestrafft unnd myr furgeworffen yhr sterckist argument: Du bist alleyn klug? Sollten die anderen alle yrren unnd ßo lange tzeytt geyrret haben? Wie, wenn du yrrest und ßo viel leutt in yrthum verfuhrest, wilche all ewiglich verdamnet wurden? [Noth83].

 

Kulturerbe: Ein Stein der Wartburg am Gebäude der Chicago Herald Tribune

 

Einsam arbeitet Luther auf der Wartburg in seiner Studierstube an der Kodifizierung seiner Religion, etwa an einer Reihe von Musterpredigten für wenig gebildete Pfarrer, damit nicht eyn jglicher predigen wird was er will und an stat des Evangelii … widderumb von blaw endten* [Schi17]. Diese Predigten werden später als Wartburgpostille bekannt.

*Luthers blaue Enten leben in den Zeitungsenten fort

 

 

Aller Welt anzeigen den Unterschied zwischen einem Bischof und einem Wolfe

 

Wenn auch sein kurfürstlicher Landesherr eine der größten Reliquiensammlungen im Reich besitzt und sie finanziell ausnutzt, rastet Junker Jörg aus, als er erfährt, dass sein Erzfeind Kardinal Albrecht zu Halle eine Reliquiensammlung aufgerichtet hat, der die armen, einfältigen Christen umb Geld und Seele bringet.

So schreibt Luther am 1. Dezember 1521 an Albrecht: Darum sei E.K.F.G.* endlich und schriftlich angesagt: wo nicht der Abgott wird abgetan, muß ich, göttlicher Lehre und christlicher Seligkeit zu gut, mir das lassen eine nötige, dringende und unvermeidliche Ursach sein, E.K.F.G. wie den Papst öffentlich anzutasten, solchem Vornehmen fröhlich einzureden, allen vorigen Greuel des Tetzel auf den Bischof von Mainz treiben und aller Welt anzeigen den Unterschied zwischen einem Bischof und einem Wolfe.

*Euer Kur Fürstliche Gnaden

 

Luther verlangt eine richtige schleunige Antwort innerhalb von 14 Tagen: E.K.F.G. denken nur nicht, dass Luther tot sei. Er wird auf den Gott, der (bereits) den Papst gedemütigt hat, so frei und fröhlich pochen (also auf Gottes Hilfe vertrauen) und ein Spiel mit dem Cardinal von Mainz anfahen (anfachen), deß sich nicht viel versehen.

 

Kardinal Albrecht, Erzbischof von Mainz und Halle

 

Albrecht antwortet leicht verspätet doch demütig am 21. Dezember aus Halle und schreibt, dass der Grund für Luthers Brief bereits beseitigt sei. Auch bekennt er, ein unnützer stinkender Kot und wie irgendein anderer, wo nicht mehr zu sein [Noth83]. Zukünftig wolle er sich wie ein frommer geistlicher Fürst verhalten. Dabei spielt er diplomatisch, wohl unter dem Einfluss Capitos, auf Kernpunkte Lutherischer Theologie an: (Ich) bekenne, dass ich bin nötig der Gnade Gottes, wie ich denn ein armer sündiger Mensch bin … und ohne die Gnade Gottes nichts Gutes an mir ist [Schi17].

 

Welch ein Wandel! Doch dem misstrauischen Luther reicht Albrechts schwammige Erklärung nicht und so veröffentlicht er seine Kampfschrift gegen die Hallenser Reliquienverehrung.

 

 

Ad fontes

 

Der Humanismus der damaligen Zeit will ad fontes (zurück zu den Quellen) und so schreibt Erasmus in seinen Vorreden zum Urtext des Neuen Testaments, daß jene Heilslehre viel reiner und lebendiger aus den Quellen selbst geschöpft wird als aus Tümpeln oder abgeleiteten Bächen [Rabe89] und betont: Leidenschaftlich rücke ich von denen ab, die nicht wollen, daß die heiligen Schriften in die Volkssprache übertragen und auch von Laien gelesen werden, als ob Christus so verwickelt gelehrt hätte, daß er kaum von einer Handvoll Theologen verstanden werden könne, und als ob man die christliche Religion dadurch schützen könne, daß sie unbekannt bleibt. Es mag angehen, daß Könige ihre Geheimnisse verheimlichen, aber Christus will mit Nachdruck, daß seine Geheimnisse unter das Volk gebracht werden. Ich würde wünschen, daß alle Weiblein das Evangelium lesen, auch daß sie die Paulinischen Briefe lesen ... [Köpf01].

 

Im Jahre 1516 hat dann der Humanist Johann Froben in Basel in seinem Verlagshause, in dessen Hinterstube Erasmus häufig hockte, dieses Papst Leo X. gewidmete Novum Instrumentum omne, diligenter ab Erasmo Roterdamo recognitum & emendatum, non solum ad graecam veritatem, verumetiam ad multorum utrisque linguae codicum ... emendationem & interpretationem, praecipue, Origines, Chrysostomie, Cyrilli ...* gedruckt [Aurn06].

 *Das ganze Neue Instrument gewissenhaft bearbeitet & verbessert von Erasmus von Rotterdam, nicht nur aus dem wirklichen griechischen, sondern auch aus vielen anderen Büchern ... aus Verbesserungen & Auslegungen vornehmlich von Origines, Chrysostomus, Cyrillus ...

 

Dieses Novum Instrumentum ist nun gerade keine „Volksbibel“, sondern Erasmus’ Versuch, die ehrwürdige lateinische Vulgata aus dem 4. Jahrhundert zu überarbeiten. Er denkt dabei an Theologen und Hochgebildete, die des Lateins mächtig sind. Erasmus beabsichtigt, das Latein des Neuen Testaments zu verbessern, korrupte Textstellen zu emendieren und Fehlübersetzungen zu berichtigen [deJo17]. Dazu benutzt er ihm vorliegende Handschriften, die Annotationes, d.h., die kritischen Notizen zum Neuen Testament von Lorenzo Valla,* und den aus Zitaten der Kirchenväter rekonstruierten griechischen Urtext des Neuen Testaments, wobei Erasmus seine mit vielen kritischen Anmerkungen versehene neue lateinische Übersetzung mitliefert. Dabei verurteilt Erasmus die Vulgata nicht, doch bemüht er sich, das Neue Testament für die, d.h., seine Gegenwart sprechen zu lassen.

*Dieser Valla hatte 1440 die Konstantinische Schenkung als Fälschung entlarvt [Salt09].

 

Erasmus merkt an: Aus Respekt für die Zielsprache sollte man nicht ad verbum (Wort für Wort), sondern ad sensum (sinngemäß) übersetzen. Jede Übersetzung bleibt nur ein Vorschlag; keine legt die Bedeutung endgültig fest. Der Übersetzer soll textkritische und exegetische Informationen aus griechischen und lateinischen Handschriften und Kirchenvätern sammeln. Überflüssige Variationen in der Wortwahl, sowie Gräzismen und Semitismen sollen vermieden werden. Schließlich liefern Cicero, Caesar, Sallust, Livius und Quintilian den Kanon für gutes Latein [deJo17].

 

Erasmus will mit seiner Übersetzung die Menschen für die philiosophia Christi gewinnen und damit zur Reform der Kirche und der Gesellschaft beitragen.

 

 

Wieder ans Licht und in eine rechte Ordnung bringen wollen

 

Zwar halten Spalatin Luther über die politischen und von Melanchton über die religiösen Entwicklungen im Kurfürstentum und im Reich auf dem Laufenden, doch manchmal verlässt Junker Jörg die Wartburg und kommt inkognito nach Wittenberg. So auch in der ersten Dezemberwoche 1521, in der er bei seinem Freund Melanchton wohnt.  

 

Luther hatte von der religiösen Radikalisierung der Reformation unter seinem Doktorvater Andreas Bodenstein von Karlstadt gehört. Als Professor an der Leucorea und Archidiakon an der Kirche Allerheiligen mobilisiert er die proreformatorischen Kräfte in der Stadt. Studenten, Bürger, Frauen und Mädchen schließen sich der Bewegung an [Goer04]. Die Mönche des Augustinerklosters verlassen den Orden unter krawallartigem Tumult. Es kommt zu Ausschreitungen gegen Geistliche, die weiter dem Alten Glauben anhängen. Gegenüber Spalatin spielt Luther diese Agressionen zunächst als Studentenstreiche herunter: Was ich sehe und höre, gefällt mir außerordentlich [Schi17].

 

Als Luther jedoch merkt, dass auch Melanchthon mit gewaltsamen Veränderungen liebäugelt, belehrt er ihn: Im Evangelium gibt es weder ein Gebot noch einen Rat für ein solches Recht. Denn das Evangelium ist ein Gesetz der Freiwilligen und der Freien, die nichts mit dem Schwert oder dem Recht des Schwertes zu schaffen haben [Schi17].  

 

Schnell lenkt der so gemaßregelte Melanchton ab und beklagt sich bei Luther, dass es den vielen vorliegenden Teilübersetzungen der Bibel ins Deutsche, etwa der von 1466 in Straßburg, an Einheitlichkeit mangele: Einer hätte den Evangelisten Matthäum, der andere den Lucam verdolmetscht. So hätte er auch gerne S. Pauli Episteln, die etwas dunkel oder finster worden wären, wieder ans Licht und in eine rechte Ordnung bringen wollen. Luther versteht dies als Aufforderung, die ganze Bibel in die Volkssprache zu übersetzen, denn Germanis meis natus sum, quibus et serviam* [Schi17].

*Meinen Deutschen bin ich geboren und ihnen will ich dienen

 

Der Reformator stilisiert sich hier als der Deutschen Prophet, was die Studenten auf der Wartburg 1817 und besonders die Deutschen Christen im 3. Reich propagandistisch weidlich ausschlachten werden.

 

 

Johannes Lufft

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nikolaus von Amsdorf
Glasfenster in der Marktkirche zu Goslar

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Von dem grossen Lutherischen Narren:

 Der Murr-Narr mit dem Katzenkopf treibt Luther die Narrenteufel aus [Aurn06]

 

 Biblia, das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch

 

Zurück auf der Wartburg beginnt Luther Mitte Dezember 1521, das Neue Testament zu verdeutschen wie sie reden vnd darnach dolmetzschen so verstehen sie es den und merken das man Deutsch mit jn redet.. Es ist nicht die erste Bibelübersetzung ins Deutsche, denn die erschien bereits 1466 in Straßburg, doch an Luthers Text ist neu, dass er als Vorlage nicht wie seine Vorgänger die lateinische Vulgata, sondern Erasmus' Novum Instrumentum benutzt. Dabei ergeben sich wichtige exegetische Unterschiede. So wird die Erbsünde Adams ersetzt durch die Notion, dass wir alle gesündigt haben. Luther jedoch hält nichts von der Textkritik des Erasmus, sondern lässt seine Religionsauffassung in die deutsche Übersetzung einfließen. Für ihn ist die Erbsünde ein fester Bestandteil seiner Lehre.

 

Auch wenn Luther den Teufel mit Tintenfasswürfen bekämpfen muss, bleibt er rastlos und beendet seine Arbeit, in nur wenigen Wochen. Anfang März 1522 kehrt Luther wegen der zunehmenden Wittenberger Wirren in die Stadt zurück und hat eine vollständige Übersetzung des Neuen Testaments dabei.

 

 Nach Überarbeitung des Textes gemeinsam mit Melanchton erfolgt die Drucklegung im Sommer 1522 durch Hieronymus Lotter in den Cranachhöfen. Am 21. September geht der fertige Druck als Newes Testament Deutzsch in die Welt, von dem innerhalb dreier Monate 3000 Exemplare verkauft werden*. Die Septemberbibel ist der erste Bestseller in deutscher Sprache, denn innerhalb eines Jahres erlebt das Neue Testament auf Deutsch ein rundes Dutzend Nachdrucke, vom nahen Grimma bis ins ferne Basel [Schi17].

*Bücher waren teuer. Für die Septemberbibel werden Preise zwischen einem halben bis anderthalb Gulden überliefert. Zwei geschlachtete Kälber kosteten anderthalb Gulden, das Jahresgehalt einer Magd betrug anderthalb, das eines Schulmeisters dreidreiviertel Gulden [Schi88].

 

In seinem Vorwort zur Ausgabe von 1523 betont Luther den Vorteil seiner Übersetzung, die evangelisch, d. h., verkündigungsgerecht die frohe Botschaft überbringt: Ich aber, wie wohl ich mich nicht rühmen kann, das ich alles erlangt habe, wage ich doch das sagen, das disse deutsche Bibel liechter und gewisser ist an vielen orten denn die lateinische. (So) hat gewisslich hie die deutsche sprach eyn bessere Bibel denn die lateinische sprache, des beruff ich mich auff die leser [Schi17].

 

Als ich als Student die Sprachmächtigkeit des Reformators erfassen wollte, erteilte mir mein katholischer Pfarrer eine Dispens zur Lektüre der evangelischen Luther-Bibel.

 

 

Alle land syndt yetz voll Heyliger geschrifft

 

Erasmus hatte gelehrt: Man muss aus den Quellen schöpfen und so geschieht es auf der Suche nach der biblischen Wahrheit aller Orten, so dass Sebastian Brant stöhnt: Alle land syndt yetz voll Heyliger geschrifft [Schi88] und der Intimfeind des Reformators, Johannes Cochläus, der Luthers deutsche Schriften für die römische Kurie ins Lateinische übersetzt, setzt noch einen drauf, wenn er schreibt: Das Neue Testament wird durch die Buchdrucker dermaßen gemehrt und in so großer Anzahl ausgesprengt, also daß auch Schneider und Schuster, ja Weiber und andere einfältige Laien ... wenn sie auch nur ein wenig Deutsch auf einem Pfefferkuchen lesen gelernt hatten, dieses gleich als einen Bronnen aller Wahrheit mit höchster Begierde lasen [Prei16]. Wohl übertrieben, wenn man davon ausgehen darf, dass damals nur jeder zehnte der gemeinen Frauen und Männer lesen konnte.

 

Jetzt ist die katholische Kirche in Zugzwang. Da macht sich der Hofkaplan Georg des Bärtigen von Sachsen, Hieronymus Emser, reichlich spät um 1527 daran, eine "theologisch korrekte" Übersetzung zu liefern: Das naw testament nach lawt der Christlichen kirchen bewerten text, corrigirt und widerumb zurecht gebracht. Luther sieht sofort, dass Emser von ihm abgeschrieben hat und beschimpft den Sudler in seinem Sendbrief: Emser bekennet, daß mein Deutsch süß und gut sei. Er sah wohl, dass ers nicht besser machen konnte und … nahm sich mein Neues Testament vor, fast Wort für Wort, wie ichs gemacht habe. (...) Nimm Dir beide Testamente vor, das des Luthers und des Sudlers, vergleiche sie miteinander, so wirst Du sehen, wer in allen beiden der Übersetzer sei [Günt17].

 

Da wollen die Bayern nicht zurückstehen und so veröffentlicht auf Drängen Herzogs Wilhelm IV. der uns wohlbekannte Dr. Johannes Eck an der Universität Ingolstadt 1537 das Alt und new Testament, nach dem Text in der hailigen kirchen gebraucht, durch doctor Johan. Ecken, mit fleiß, an hohteutsch verdolmetscht. Eck benutzt für sein Werk Emsers Text und damit wieder Luther, doch hält er an der Vulgata fest: Ich bin bei unserer lateinischen Kirche geblieben, die hat ohne Zweifel den rechten Text von dem unfehlbaren Meister dem heiligen Geist [Günt17].

 

Eck ist sehr spät dran denn bis 1534 gibt es bereits 87 hochdeutsche und 19 niederdeutsche! Ausgaben des Neuen Testaments. Im gleichen Jahr erscheint auch die vom Weimarer Typographen, Ratsherren und Bürgermeister Hans Lufft gedruckte Biblia das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch mit dem Alten, dem Neuen Testament und einigen Apokryphen [Kata04]. Darin schreibt Luther in seiner Vorrhede auff das Newe Testament: Denn Evangelion ist ein Griechisch wort, und heisst auff Deudsch Gute botschaft, gute mehre (Mähr), gute newe zeitung, gut geschrey, davon man singet, saget und fröhlich ist. [Füss17]. Ja, schreit’s nur heraus die frohe Botschaft.  

 

 

Die gemeinste deutsche Sprache

 

Vier Jahre vorher hatte Luther seine Schrift Sendbrieff vom Dolmetschen und Fuerbitte der Heiligen veröffentlicht und geschrieben: Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden soll, wie es die Esel tun, sondern die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, dem gemeinen Mann auf dem Markt auf’s Maul sehen. Dabei hat Luther nicht immer die gängigste Sprachform gewählt, hier am Beispiel des damals weit verbreiteten Worts Lefze gezeigt, dem er die weniger geläufige Lippe vorzieht [Lobe17]. Durch die deutsche Bibelübersetzung hat sich hochsprachlich Lippe durchgesetzt.

 

Luther bedient sich bewusst der gemeinen deutschen sprache, das mich beide, Ober- und Niderlender, verstehen mögen ... Und last uns das gesagt seyn, Das wyr das Euangelion nicht wol werden erhallten on (ohne) die sprachen. Die sprachen sind die scheyden darynn dis messer des geysts stickt. Sie sind der schreyn, darynnen man dis kleinod tregt. Sie sind das gefeß, darynnen man disen tranck fasset. Sie sind die kemnot (Kemenate, Kammer), darynnen dise speyse ligt. Und wie das Euangelion selbs zeygt, Sie sind die körbe, darynnen man dise brot und fische und dise brocken behelt [Köpf01].

 

 Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen (alltäglichen) Sprache, dass mich beide, Ober-und Niederländer verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Canzeley, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland; alle Reichsstädte, Fürsten-Höfe schreiben nach der sächsischen […] Canzeley, darum ists auch die gemeinste deutsche Sprache.[Schi17]

 

 Und doch bezieht er seine Wörter aus der mundlichen rede, im Hause, auff dem marckt und in der Predigt, denn aus den Büchern. Die buchstaben sind todte wörter, die mundliche rede sind lebendige wörter, die geben sich nicht so eigentlich (treffend) und gut in die schrifft, als sie der Geist oder Seele des Menschen durch den mund gibt, und wo die Wörter fehlen erfindet er neue, kraftvolle bis heute gebräuchliche wie Bluttgeld, fewreyffer, fridfertig, gastfrey, menschenfischer, morgenland, nachjagen, plappern, schaffskleyder, schedelstett, wetterwendisch, kleingläubig und Nächstenliebe [Schi17].

 

 

Wardt alles getruckht in des Lutters nammen

 

Im Jahre 1521 war die Reformation auch im katholischen Elsass angekommen, aber wurde dort nicht überall begrüßt: Anno 1521, da war ein man, der war ein ordensman, wohnt unnder dem hertzog in Saxen, war Martin Luter genandt, der ließ außgohn (der ließ heraus) wie die bebst zu Rom unnß so gar betrogen hetten mit dem ablaß, und was wider die gehorsammen die vill pfruenden (viele Pfründen) hetten und nichts darum tedten, und das man kheinem umb schuld (unschuldig) in den ban solt thun und redt vill wider die bluethundt (Bluthunde). Da fielen die schelmshelß (die Luther-Anhänger hier die Schreihälse) zusammen unnd liessen außgohn (verbreiteten) in truckherei wider Gott unnd alle heiligen, unnd wardt alles getruckht in des Lutters nammen. Da fieng an der gemein man in ein unglauben zukhommen. Gott well es wenden (möge es abwenden) mit seiner barmhertzigkeit [Stol79].  

 

Martin Luther 1521 von Hans Baldung Grien: Martinus Luther ein dyener Jhesu Christi, vnd ein wideruffrichter Christlicher leer.

 

Da beeilt sich auch im Elsass die andere Seite, deutsche Bibelübersetzungen mit der Auslegung des Textes aus katholischer Sicht zu truckhen. So erscheint 1522 bei Grieninger in Straßburg des Johannes Geiler von Kaysersbergs Evangelia: das Plenarium ußerlesen und davon gezogen in des hochgelerten Doctor Keiserspergs Ußlegung der Ewangelien und Leren. Anfang der Meßcolect Secret-Epistel und Complend.

 

 

Von abthuhung der Bylder

 

Obgleich Kurfürst Friedrich die Beibehaltung der herkömmlichen Gottesdienstpraxis befohlen hatte, feiert Karlstadt am Weihnachtsfest 1521 einen Gottesdienst in weltlicher Kleidung und dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Schließlich ruft er in einer Schrift mit dem Titel Von abtuhung der Bylder zum Bildersturm auf:

 

i Das wir bilder in Kirchen vnd gots hewßern (Gotteshäusern) haben, ist vnrecht, vnd wider das erste gebot. Du solst nicht frombde gotter haben.

ii Das geschnitzte vnd gemalthe Olgotzen vff den altarien stehnd ist noch schadelicher vnd Tewffellischer.

iii Drumb ists gut, notlich, loblich, vnd gottlich, das wir sie abthun, vnd ire recht vnd vrteyl der schrifft geben [Köpf01].

 

 

Das Ende der Wittenberger Wirren

 

Als Luther von diesen bilderstürmischen Tendenzen hört, sieht er Zeichen des Untergangs seiner Reformation: Der Papst ist der Antichrist und die sich jetzt erhebenden gewalttätigen Schwarmgeister sind vom Teufel geschickt.

 

Gegen den Rat Kurfürst Friedrichs, der um die Sicherheit seines Doktors besorgt ist, kehrt Luther im März 1522 von der Wartburg endgültig nach Wittenberg zurück. Von dort aus richtet er einen Brief an alle Christen  Eyn trew vormanung Martini Luther tzu allen Christen, Sich tzu vorhuten fur auffruhr vnnd Emporung, Vuittemberg 1522 : Denn auffruhr hat keyn vornunfft, und gehet gemeynicklich mehr ubir die unschuldigen denn ubir die schuldigen. Darumb ist auch keyn auffruhr recht, wie rechte sac er ymer haben mag. Vnd folget alletzeyt mehr schadens den besserung dar auß. Damit erfullet wirt das sprich wort, Auß ubel wird ergers (Ärgeres). Der halben ist die ubirkeyt (Obrigkeit) vnnd das schwerd eyngesetzt tzu straffen die boßen (Bösen) vnnd tzu schutzen die frumen (Frommen) das auffruhr vorhuttet werde wie S. Paulus saget [Noth83].

 

 

Wenn ich wittenbergisch bier mit meynem Philipo und Amßdorff getruncken hab

 

In seiner Predigt zum 1. Fastensonntag (Invocavit)) 1522 weist  Luther in aller Schärfe nochmals jede Gewaltanwendung von sich: Sine vi humana, sed verbo*. Er kann es nicht häufig genug wiederholen: Als er mit seinen Freunden geruhsam beim Bier saß, habe allein das Wort, sein Wort gewirkt: Summa summarum predigen will ichs, sagen will ichs, schreyben will ichs. Aber zwingen, dringen mit der gewalt will ich nyemants, dann der glaube will willig, ungenötigt angezogen werden. Nempt ein exempel von mir. Ich bin dem ablas und allen papisten entgegen gewesen, aber mit keyner gewalt, jch hab allein Gottes wort getrieben, geprediget und geschrieben, sonst hab ich nichts gethan. Das hat, wenn ich geschlafen han, wenn ich wittenbergisch bier mit meynem Philipo und Amßdorff getruncken hab, als(o) vil gethan, das das Bapstum also schwach geworden ist, das jm noch nye keyn Fürst noch Keyser so vil abgebrochen hat. Ich hab nichts gethan, das wort hatt es alles abgehandelt und außgericht. Wann ich hätt wöllen mit ungemach faren, ich wolt Teützsch lanndt in ein groß plut vergiessen gebracht haben, ja ich wolt woll zu Wurmbß (Worms) ein spil angericht haben, das der keyser nit sicher wer gewesen. Aber was were es? ein narren spil wer es gewesen. Ich hab nichts gemacht, ich hab das wort lassen hendeln [Ober03].

*Durch das Wort, nicht mit menschlicher Gewalt

 

Schlaf und Bier sind auch verflochten in einem Spruch Luthers: Wer Bier trinkt, der schläft schnell; wer lange schläft, der sündigt nicht; wer nicht sündigt, kommt in den Himmel! So lasst uns Bier trinken!

 

Denn ichs mit den bilderstürmen nicht halte

 

 In seinen Invokavit-Predigten vom März 1522 äußert sich Luther auch zum Bildersturm: Das die Bilder weder sonst noch so, weder gut noch böse sind sondern man lasse es frey sein, sie zu haben oder nicht zu haben, allein das der glaub oder wahn davon sey, das wir mit unserm Bilderstifften Gott keinen Dienst noch gefallen thun ... So werden myr auch meyne bilderstürmer eyn crucifix odder Marien bilde lassen müssen, … das ichs trage odder ansehe, so ferne ichs nicht anbete, sondern eyn gedechtnis habe. Die Gläubigen sollen sich an Bildern erfreuen; Bilder aus der schrifft und von guten Historien (halte) ich fast (sehr) nützlich, doch frey und wilkörig … Denn ichs mit den bilderstürmen nicht halte [Schi17].

 

So kann Melanchton erleichtert am 30. März 1522 Spalatin vermelden: Hier sind alle Dingen gut wiederhergestellt durch Doktor Martinus [Schi17].

 

Später wird Karlstadt aus Wittenberg ausgewiesen. Luther schickt ihm einen Spruch hinterher über Worte und Sachen seiner Zeitgenossen: Res et verba Philippus, verba sine re Erasmus, res sine verbis Lutherus, nec res nec verba Corolostadius [Lobe17]. Den Schriften seines Freundes Melanchton bescheinigt Luther theologischen Gehalt (res) und linguistische Form (verba), seinem Konkurrenten Erasmus wirft er ein Schreiben ohne theologische Tiefe vor, er selbst dagegen verfasst gute Theologie ohne groß auf die Form wert zu legen, während Karlstadt weder das eine noch das andere beherrscht.

 

Zwar ist auch Luther das Festhalten seines Dienstherren Friedrich an der katholischen Messfeier ein Dorn im Auge: Ich verwerfe, daß die Messen für Opfer und gute Werke gehalten werden. Aber ich will nicht mit Hand anlegen oder die, die das nicht wollen, … mit Gewalt daran hindern [ Schi17]. Und so wirbt er um Unterstützung zur Abschaffung der Messe nur in seinen Predigten: Ich rede itzund mit Eurem Gewissen: Was geht uns der Kurfürst in solchen Sachen an, und warnt: Das nit der grewlich zorn Gottes wie ein glyeender bachoffen (glühender Backofen) sich über ewer hinlessigkeit erzürne unnd euch mit sampt den Abgoettischen pfaffen auffs grewlichst straf.

 

Unter diesem verbalen Druck gibt Kurfürst Friedrich endlich nach, doch erst 1526 veröffentlicht Luther die Anleitung Deudsche Messe vnd ordnung Gottes diensts / zu Wittemberg / fürgenomen. Da ist der reformatorisch gesinnte Abt des Nördlinger Karmeliterklosters Kaspar Kantz Luther voraus, schrieb er doch bereits 1524 eine evangelische Gottesdienstordnung: Von der Euangelischen Messz mitt schönen Christlichn gebeten vor vnn nach der entpfachung des Sacraments.

 

 

Von dem grossen Lutherischen Narren

 

Die Anhänger der Reformation hatten Thomas Murners Angriffe auf Luther nicht vergessen und seither in polemischen Flugschriften den Murr-Narr arg beschimpft. Da veröffentlicht dieser 1522 in Straßburg seine geistreichste Anklageschrift gegen die Reformation, die satirisch-antireformatorische Kampfdichtung: Von dem grossen Lutherischen Narren wie in Doctor Murner beschworen hat. Murner inszeniert darin die Reformation als eine dramatische Handlung mit der Beschwörung des Großen Narrenpopanz Luther und einem Feldzug des reformatorischen Heeres mit seinem anschließenden Untergang [Aurn06].

 

Luther jedoch ist unbeeindruckt und zeigt sich Ende 1522 als Optimist. In seiner Predigt zum 2. Advent bejubelt er den geistigen und reformatorischen Aufbruch: Es bricht ein Licht hervor, und geht ein Tag auf, er sei wie er wolle, das mag nicht anders sein: Es ist vordem solcher Witz, Vernunft und Verstand in der Christenheit nicht gewesen in weltlichen und leiblichen Sachen [Dem00].

 

 

 

Um 1521, reformatorische Ideen auch in Freiburg

 

Die Mängel in der Seelsorge im Bistum Konstanz sind offensichtlich. Viele Pfarrer kümmern sich zuerst um ihre Pfründen, vernachlässigen ihre Pfarrstellen und stellen zur Betreuung ihre Schäfchen zum Teil unausgebildete junge Geistliche zu Hungerlöhnen ein, sodass auch diese sich zunächst um ihren Lebensunterhalt sorgen.

 

Besonders die Freiburger Universität hatte seit Jahren einen Kampf für kirchliche Verbesserungen geführt, und so begrüßt so mancher die klaren Worte Luthers. Professor Engelbrecht, der in Wittenberg seinen Magister erworben hatte, sieht in dem Reformator den größten Apostel unsrer Tage und heftet am 5. September 1521 ans Universitätsgebäude einen Zettel mit folgendem Knittelvers als Aufforderung an die Studenten: Lutherum ut redimas, Hembd, Schuh, Buch, omnia vendas* [Baum07]. In Freiburg stehen nicht nur Engentius, sondern auch andere Professoren der Universität, ein Teil des Freiburger Adels und sogar der Stadtpfarrer am Münster den gemäßigten lutherischen Ideen aufgeschlossen gegenüber.

*Daß Luthers Schriften kannst gewinnen Du, Verkaufe alles: Bücher, Hemden, Schuh.

 

Auch bei den Bürgern Freiburgs fallen reformatorische Bemühungen auf fruchtbaren Boden. So sind schon vor 1521 daselbst ganz unerwartet so viele sectische Bücher in die Häuser der Bürger und Einwohner gelegt worden, daß diese heimliche Einschleichung der Oberichkeit nicht länger unbekannt bleiben konnte [Bade82].

 

 

Als wenn es von einem Engel käme

 

Huldrichus Zasius beobachtet ganz richtig: Je mehr man Luthers Lehre einschränkt, desto mehr breitet sie sich aus und liest ebenfalls des Reformators Schriften: Was von Luther an mich gelangt, das nehme ich auf, als wenn es von einem Engel käme [Rank20]. Weiter ist überliefert: Luthers Schriften haben mir so gefallen, dass er mir wie ein Engel des Lichts erscheint in der mit dicker Finsternis umhüllten Theologie und Zasius untermauert seine Ansicht mit: Luther in Wittenberg ist ein Mann von trefflichem Lebenswandel und von bewundernswertem Rang in den Wissenschaften [Hug17].

 

Und wie Luther geißelt auch Zasius: Der Klerus ist verderbter als jemals; je mehr Priester, desto weniger Frömmigkeit. Bei uns steht die Frömmigkeit im umgekehrten Verhältniß zu der vergrößerten Zahl der Priester. Auch sonst eifert er dem Reformator nach, denn er liebt gut Essen und Trinken in angeregter Tischgesellschaft. In vorgerückter Stunde wurden seine Scherze wohl etwas gepfefferter. Aber dann zog seine Hausfrau das ehrsame und treffliche Weib, wie er selber erzählt, des Erasmus‘ Büchlein über Gebrauch und Mißbrauch der Sprache hervor und stopfte mir den Mund [Baum07].

 

 

Es möchte Deine herrliche Lehre nicht verunstaltet werden

 

Mit den Angriffen des Reformators gegen das Papsttum allerdings wird Zasius zum Bedenkenträger und schreibt 1520 Luther einen Brief, in dem er zur Mäßigung und Wahrung des Friedens aufruft: Wenn ich Dir, Martinus, der Theologen Phönix, meine volle Zuneigung kundzutun fortfahre, (darf ich doch mit Umgehung des offiziellen Briefstils etwas zartfühlender schreiben) so ist mein Alles, ich sage nicht auf Dich gerichtet, nein, für Dich Feuer und Flamme, sowahr ich die Sarder käufliche Seelen nenne*: habe ich doch von Dir gelernt, daß alles Gute (was in mir ist, wenn es auch noch so wenig sei) ganz und gar auf die Gnade Gottes zurückgeführt werden muß. Die Bedeutung der Ablässe, welche seit dreihundert und noch mehr Jahren niemand angegriffen, hast Du mir so deutlich erklärt, daß ich nicht allein, sondern die strengsten Anhänger Roms zugestehen müssen, von Dir eines bessern belehrt zu sein. Was ist in den Schriften wohl wahrer oder sicherer begründet als die Wahrheit der Buße, der Beicht oder der Zehn Gebote? Von weniger wichtigem will ich schweigen. Die Auslegung des Galaterbriefes wird den Zeitgenossen und den Gelehrten der Zukunft dienlich sein. Darin hast Du die dunkelsten Stellen in lichte Helle gesetzt, daß wir nicht durch Werke des Gesetzes, sondern nur durch den Glauben gerecht werden, und vieles andere dieser Art; herrliche Lehren, die man selten hört. Mit einem Worte sage ich, Du bist der einzige, der ein gelehrter und vernünftiger Theologe genannt zu werden verdient ... Ich für meine Person möchte lieber so arm sein wie eine Kirchenmaus, als Deine herrlichen Schriften nicht kennen.

* Eine bei den Römern nicht seltene Redensart

 

Doch ist es nicht Dein Name, dessen Du Dich rühmst, sondern Gott, (denn so lehrst Du selbst) der durch Dich unser Heil wirkt. Doch ich fürchte - wenn Du es mir nicht übel aufnimmst - daß man bei Dir manches vermißt. Bei dem Siegesjubel über Eck (den Du, wie es scheint, vernichtet hast) setztest Du nach dem Urteile mancher die Autorität des apost. Stuhles allzusehr herab. Mir selbst ist die Streifrage zu wenig klar, dessentwegen stimme ich weder für, noch wider, doch finde auch ich einiges, was mir nicht wenig zu denken giebt. Das Zeugnis so vieler Menschenalter, welche dem Bischof von Rom diese Machtstellung zugesprochen, und so vieler hl. Männer zunichte zu machen, ist, wenn es nicht mit den schlagendsten Beweisen geschieht, gefährlich und in unserem Rechte würde dieses Argument unwiderleglich sein - wenn es für Dich Geltung hätte (Dat ham wir immer so jemaht). Denn wir halten es für Unrecht, das stürzen zu wollen, was seit unvordenklichen Zeiten als Recht gegolten hat (Filbinger lässt grüßen). Doch hege ich darüber nur einen Zweifel und spreche keine Behauptung aus, bis ich Deine Aufklärung darüber erhalte. Wenn es Dir recht ist, würdige Deinen Hörer einer Belehrung oder schreibe auch nur einige Zeilen, damit ich weiß, daß ich Dich mit meinen Narrheiten nicht beleidigt, der ich doch sonst alle Deine Worte wie ein Orakel aufnehme und mich an ihnen erbaue. Lebe wohl. Mehr zu schreiben, hindert mich mein Bote, der zur Abreise drängt und behauptet, er könne nicht mehr länger warten. Doch mehr zu anderer Zeit ...

 

Mein liebster Martinus Martinus; zürne mir nicht, in aufrichtigster und reinster Liebe schreib ich an Dich, besorgend, es möchte Deine herrliche Lehre durch diesen gehässigen und fremdartigen Streit, den Du wohl doch nicht zu Ende führen kannst, verunstaltet werden ... Freiburg, am 1. Septbr. 1520 [Neff88].

 

 

Das Luthertum als zweiter Türke

 

Die positive Einstellung zur Reformation in Freiburg musste sich ändern, als der jugendlichen Kaiser Karl V. zu Worms (26. Mai 1521) die Reichsacht über Luther und dessen Anhänger aussprach, und dieselben niederzuwerfen, ihm zu überliefern, so wie deren Schriften zu verbrennen und aus der Menschen Gedächtniß zu vertilgen befahl [Schr59].

 

Und so ergeht 1521 aus Ensisheim das offizielle Verbot der lutherischen Lehre in den österreichischen Vorlanden.  Das Luthertum ist den Habsburgern der zweite Türke und das Täufertum gilt ihnen als Anarchie. Außerdem befürchtet die Bezirksregierung Auseinandersetzungen mit der Eidgenossenschaft, zumal die Waldstädte am Oberrhein einem Anschluss an die reformierten Kantone der Schweiz nicht abgeneigt sind [Spec18].

 

Auch der Konstanzer Bischof Hugo von Hohenlandenberg verbietet in einem Hirtenbrief seinen Schäfchen die Teilnahme an allen frevelhaften Neuerungsversuchen. Angewidert vom unchristlichen Treiben der geistlichen Hirten und deshalb empört ob soviel Misstrauen in den wahren Glauben seiner Bürger, lässt der Freiburger Rat 1522 unter dem an die Kirchentür des Münsters angeschlagenen Hirtenbrief folgende Antwort heften:

 

Hugo, wie bist du gar ein Kind,
Du willst uns machen sehend blind;
Steh still mit deinen falschen Listen,
Wir wollen bleiben gut' fromm' Christen.
Wo mag es dir nur herkommen,
Daß du uns von Freiburg die Frommen
Ermanest mit deinem Schreiben,
Wir sollen gut' Christen bleiben?
Wir mögen wohl die List verstuhn,
Es ist um die Kuchin (Küche) zu thun;
Die will den Pfaffen zu schmal werden,
Das schicket Gott auf diese Erden.
Nimm du dich deiner Pfaffen an,
Du darfst kein Sorg für uns han.
Wenn wir nicht bessre Christen wären,
Als uns deine Pfaffen lehren;
Der Teufel hätt' und längst schon hin,
Wären wir nicht so gute Christen gesin.
Aber das wissen wir fast (sehr) wohl,
Deine Pfaffen sind alles Geizes voll.
Thue gemach einher da traben,
Und wisse, daß wir auch haben
Mit dem Luther nichts zu schaffen
Auch mit Mönchen und mit Pfaffen.
Der Teufel führ sie alle hin;
Wir wendt doch gute Christen sin.
[Schr57].

 

 

 Die griechische Sprache, Mutter aller Ketzereien

 

Trotz dieser Kritik an dem Gebaren der Geistlichkeit steht der Freiburger Stadtrat fest im alten Glauben, doch argwöhnt er, dass die Universität die kaiserlichen Maßnahmen gegen die lutherische Lehre nur halbherzig umsetzt. Es kommt zu Verleumdungen gegenüber griechisch Unterrichtenden, die in der Predigt eines Mönchs mit einer Spitze gegen Erasmus‘ Arbeiten zum Neuen Testament gipfeln: Man möge sich vor der neu erfundenen Sprache, welche die griechische heiße, wohl hüten; denn diese sei die Mutter aller Ketzereien. Zugleich befinde sich jetzt ein Buch dieser Sprache, welches das Neue Testament heiße, in vielen Händen; dieses sei voll Dornen und Schlangen. Auch eine andere Sprache, die hebräische, bringe man in Umlauf; wer diese lerne, werde ein Jude [Schr59].

 

Der Freiburger Stadtschreiber schimpft Professor Engelbrecht einen verräterischen lutherischen Bösewicht und der so gescholtene darf seinen Lehrstuhl nur behalten, als er verspricht: Ich werde Niemanden von den Lutherischen mehr bewirthen, weder an Luther, noch einen seiner Anhänger mehr schreiben und alle von solchen erhaltenen Briefe verbrennen [Bade82].

 

 

Si Spiritu divino dirigatur

 

Mit dem Wormser Edikt beginnt auch Zasius, seine Einstellung zu Luther zu ändern:  Luther bewirkt durch einige unvernünftige Lehren, daß ich die Klugheit, die Schriften, die Ansichten und Urteile des Erasmus hoch und heilig achte ... Gott möge ... uns den Erasmus erhalten, der mir nächst den Himmlischen ein wahrer Heilsbote ist. Beiden spende ich Beifall, doch Erasmus ziehe ich vor.

 

Doch der so geehrte Gelehrte fühlt sich mehr und mehr missverstanden, so dass er klagt: In Rom machen mich gewisse Leute zum Lutheraner, in Deutschland bin ich der strammste Antilutheraner [Salt09]

 

Und doch hatte Erasmus die Lage nach dem Wormser Edikt nur realistisch eingeschätzt, wenn er seinen Freund Zasius Anfang 1522 warnt, seine neue Lutherkritik nicht zu übertreiben: Wie die Luthersache ausgehen wird, weiß ich nicht. Ich habe von Anfang an immer einen stürmischen Ausgang erwartet, jetzt fürchte ich ihn [..]. Da Du öffentlich für Luther eingetreten bist, halte ich es für geratener, Du schweigst als dass Du gegen ihn schreibst; denn letzteres wird man Dir nicht als Lob, sondern als Furcht oder Leichtsinn buchen. Überlass ihn seinem Schicksal, worauf Zasius am 20. April 1522 recht ausweichend antwortet: Ich halte es nicht für meine Sache, über die Lehre Luthers ein Urteil abzugeben, da ich in dieser Angelegenheit nicht erfahren [inexpertus] bin. Ich sage jedoch, dass ich manches daran billige, manches aber nicht. Im Allgemeinen bin ich der Meinung gewesen, dass jede Lehre, wenn sie nicht von Gott stammt, in Kürze untergeht, dass sie aber andauert, wenn Gottes Geist sie leitet [si Spiritu divino dirigatur] [Hug17a].

 

 

Dem Kaiser ist Gehorsam zu leisten

 

Als schließlich 1522 neben der Stadt auch die Freiburger Universität das Wormser Edikt befolgt, hatte sich Zasius bereits voll von Luther abgewandt. Im Namen des Senats hält er aus dem Stegreif eine Rede an die Studenten gegen den Reformator, den Urheber der verderblichen Sekte [Neff88]. Ganz Rechtswissenschaftler und als guter deutscher Bürger stellt er fest: dem Kaiser ist Gehorsam zu leisten [Haum01].

 

Doch dem Landesherren Ferdinand bleibt Freiburgs Haltung suspekt. Deshalb verfügt er im Januar 1523, energisch gegen die Ketzer vorzugehen. So geschah es, daß der Stadtrath auch daselbst eine Hausdurchsuchung anordnete und gegen zweitausend Bücher (theilweise oder vollständige Uebersetzungen der heiligen Schriften, Predigten, Erbauungsbücher u. s. w) auf dem Münsterplatz durch den Scharfrichter verbrennen ließ [Schr57],

 

 

Den Stadtschreiber enthauptet

 

In der nahen Schweiz und im Elsass dagegen gewinnt die Reformation rasch an Boden. Von den österreichischen Städten am Oberrheine blieben nach dem Vorbilde Freiburgs der katholischen Sache auch Breisach, Waldkirch und Endingen standhaft getreu, während Kenzingen, Neuenburg, Rheinfelden und Waldshut treulos abgefallen [Bade82].

 

Die Stadt Kenzingen bestellt 1522 den lutherischen Stadtprediger Jakob Otter, der den Gottesdienst auf Deutsch hält, auch das Abendmahl in beiderlei Gestalt reicht und sich großer Beliebtheit erfreut. Der Stadt Freiburg ist der Lutheraner ein Dorn im katholischen Auge und schickt 1524 Truppen nach Kenzigen. Um ein Strafgericht zu verhindern, geht Otter nach Straßburg, in das ihn rund 200 Bürger begleiten. Doch es hilft nichts. Die Altgläubigen halten strenges Gericht. Der Bürgermeister wird verhaftet, den ausgezogenen Bürgern wird die Rückkehr in die Stadt verweigert und der Stadtschreiber enthauptet.

 

Auch Neuenburg wird nach einem kurzen Ausflug in die Reformation durch eine gemeinsame Aktion der gut katholischen Städte Breisach, Endingen, Waldkirch und Freiburg zum rechten Glauben zurückgeführt. Der 1522 vom Stadtrat berufene Prediger der Neuen Lehre Otto Brunfels verlässt die Stadt bereits 1524 und begibt sich nach Straßburg, der damaligen Hochburg der lutherischen Bewegung am Oberrhein. Bekannter wird Brunfels später als Mediziner und Botaniker. Da mag vielen altgläubigen Neuenburgern das Rheinhochwasser von 1525, bei dem der Dom bis auf den Chor hinweggespült wurde, als Strafe Gottes erschienen sein.

 

Noch 1664 war der Schaden zu sehen, über den Matthäus Merian in seiner Topographia Germaniae berichtet: Allhier rinnet der Rhein so starck an die Stadt / und frist dergestalt umb sich / daß er die Kirch (so vor diesent von dem Fluß abgelegen) jetzunder halber [unterhalb] hinweg geflöst / daß nur das Chor allda übrig ist / und thut noch täglich Schaden an Gebäuen.

 

 

Vordringen der Reformation in den Städten

 

Die Städte im Reich sind der Reformation gegenüber besonders aufgeschlossen, empfinden doch die zum großen Teil gebildeten Bürger die häufige Abwesenheit der Pfarrer und die ungenügende Seelsorge durch geistliche Hilfskräfte als ein großes Ärgernis. So etwa in der Reichsstadt Nördlingen. Dort ermahnt der Stadtrat die Geistlichen, Seelsorge und Gottesdienste gemäß der kirchlichen Ordnung zu halten und verlangt Visitationen, also Kontrollen. Dagegen klagen die Pfarrer, dass ihre Einkünfte nicht voll geleistet würden, weshalb sie sich nach weiteren Pfründen umsehen müssten. Außerdem seien sie in ihren Rechten eingeschränkt und mit zu hohen Forderungen des Rates konfrontiert.

 

So schickt der Nördlinger Rat den Stadtschreiber im Jahre 1521 zum Patronatsherren ins Kloster Heilsbronn, um um einen Prediger zu bitten. Nachdem der dortige Abt keine Zusage gibt, sucht der Rat auf eigene Faust und stellt am 31. Oktober 1522 (sic!) den streitbaren Lutheraner Theobald Gerlacher aus Billigheim (Billicanus) für die Dauer von 10 Jahren als Stadtprediger ein.

 

 

 

 

 

Hans Sachs

 

 

 

Die Wittembergisch Nachtigall

 

Auch Nürnberg gehört zu den Reichsstädten, die in der ersten Stunde die neue Lehre übernehmen. Der Nürnberger Schuh-, Macher und Poet dazu Hans Sachs bekennt sich zu  Luther, der wider viel irrthumb vnd missbreüchen des gaystlichen regiments und das haylig Evangelium das wort Gottes widrrumb klar unvermischt an den tag gegeben hat [Anne15]. Sachs hatte des Reformators Botschaft gut verstanden und wettert gegen die Riten der alten Kirche zur Gnadenauffassung:  

 

Mit wachen, fasten langen bet,
mit gerten-hauen, creutzweis-ligen
mit knien, neygen, bucken, biegen
mit reuchern und mit glocken-taufen
 mit lampen-schüren, gnad-verkaufen,
mit kirchen-, wachs-, saltz, wasser-weyen
[Anne15].

 

 In seinem Gedicht Die Wittembergisch Nachtigall veranschaulicht Sachs seinen Lesern die reine Lehre Luthers in einer Tierallegorie: Die Nachtigall (Luther) begrüßt den aufbrechenden Tag (die reine Lehre des Evangeliums). Die Schafe (die Gläubigen) von Schlangen (dem Klerus) ausgesaugt irren in der Wüste, doch einige in der Ferne haben bereits zum Lamm Gottes gefunden. Wilde Tiere unter dem Baum möchten der singenden Nachtigall ans Gefieder. Allen voran der König der Tiere der Löwe (Papst Leo X., der Luther gebannt hatte), das Wildschwein (Johannes Eck, die Ecksau), die Katze (Johannes Murner aus Freiburg), der Bock (Hieronymus Emser, der in einer neuen katholischen deutschen Bibelübersetzung Luther Irrtümer vorwirft) und weitere böse Tiere.

 

Wacht auff, es nahent gen dem Tag, ich hör singen im grünen Hag, ein wunnigkliche Nachtigal
Ihr stimb durchklinget Berg und Thal,
Die Nacht neugt sich gen Occident,
Der Tag geht auff von Orient.

 

Die Wittembergisch Nachtigal
Die man yetz höret uberall.
Ich sage ewch, wo dise sweygen,
so werden den die Steyne reden.

 

 

 

 

Über den freien Willen

 

Und doch ist die Reformation kein Selbstläufer. Der Augustiner-Eremit Martin Luther findet 1524 im Augustiner-Chorherren Eramus von Rotterdam einen mehr als ebenbürtigen Kritiker seiner Religionsauffassung. In seinem Traktat De libero arbitrio, diatribe sive collatio* zweifelt dieser die Lehre von der Gnade Gottes als einzige Voraussetzung für das Seelenheil an.

*Über den freien Willen, Diskurse und Vergleiche

 

Für den weltgewandten, urbanen Gelehrten Erasmus sind die Notwendigkeit des Handels und der freie Wille des Menschen kompatibel. Nur die Gnade reicht nicht, denn Glaube und Vernunft sind eng verknüpft. Schon bei Augustinus steht: Gott weiß alles, doch er greift nicht ein, schließlich ist Prädestination das grausamste was es gibt. Gott schreibt nicht vor, wenn und wann der Mensch frei reagieren kann.

 

Erasmus bezieht sich bei seiner Argumentation auf konkrete Stellen in der Bibel (sola scriptura). Gott gibt die Direktive, d.h., seine Gnade, und die Gnade ist die Kraft, durch die sich der Mensch dem zuwenden oder davon abwenden kann, was zum ewigen Seelenheil führt [Schi17]. Zwischen Gottes Gnade und dem freien Willen des Menschen herrscht eine Synergetik [Reck17].

 

Für Luther dagegen ist die Vernunft geradezu der Feind des Glaubens: Denn sie ist vom teuffel besessen von anfang der welt her, da sie ym paradies wolle Gott werden und greyff nach der ehre, die hie Gott Christo alleyne zueygnet, … darauff veharrt sie noch ymer, und ficht widder diese wort, so antwortet er Erasmus erst im Dezember 1525 mit seiner Schrift von De servo arbitrio*.

*Über den versklavten Willen  

 

Luther begründet seine verspätete Reaktion auf Erasmus' Schrift allein weil der Überdruss, der Unwille und die Geringschätzung, d.h., eben mein Urteil über Deine Schrift den Drang zu einer Entgegnung gehemmt haben. Mit so kostbarem Schmuck der Beredsamkeit wird inhaltlich nur Schmutz vorgetragen, so als ob man Kot in goldenen oder silbernen Schüsseln auftrüge [Schi17]. Darüber hinaus bezichtigt Luther Erasmus der Blasphemie, ja er halte es mit den Heiden.

 

Schließlich herrsche die menschliche Unzulänglichkeit und deshalb ist der freie Wille nichts. Wenn auch widerwillig erkennen wir kraft natürlichem Menschenverstand an, dass wir nicht aus unserem Willen geschaffen sind, sondern mit Notwendigkeit, dass wir nicht etwa Beliebiges nach eigner freier Willensentscheidung tun, sondern wie Gott es vorher gewusst hat und nach seiner unfehlbaren und unabänderlichen Entscheidung und Kraft betreibt. Darum ist klar, dass es mit dem freien Willen nichts ist, wenn das auch … durch das Ansehen all der gelehrten Männer, die so viele Jahrhunderte hindurch anders lehrten, verdunkelt wird [Schi17].

 

Gott ist verborgen (Deus absconditus). Der Glaube (sola fide) an Ihn ist Gnade, ist Freiheit, ist Alles. Dagegen wird der „freie Wille“ des Menschen entweder vom Satan oder Gott „geritten“. Wie in der Einleitung zur Schrift Über die Freiheit eines Christenmenschen geschrieben: Der geistige Mensch ist ein freies Wesen, der fleischliche Mensch ist ein Knecht und im Willen unfrei. Für Luther gibt es zwei Reiche: Satan und Gott, böse und gut, Leib und Seele [Reck17].  

 

Seinen groben Stil verteidigt Luther mit seinen ihm in die Wiege gelegten Eigenschaften: Ich bin dazu geboren, das ich mit den rotten und teuffeln mus kriegen und zu felde ligen, darumb meiner bücher viel stürmisch und kriegerisch sind. Ich mus die klötze und stemme ausrotten, dornen und hecken weg hawen, die pfützen ausfullen und bin der grobe waldrechter, der die ban brechen und zurichten mus und erkennt neidlos die Fähigkeiten seines Freundes und Mitarbeiters Philipp Melanchton an: Aber M. Philipps feret seuberlich und still daher, bawet und pflantzet, sehet und begeust mit lust, nach dem Gott yhm hat gegeben seine gaben reichlich [Schi17].

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Jhesus Christus eyn geborner Jude sey

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Von den Jüden un jren Lügen

Die Juden sind von dem geblutt Christi

 

Luther sucht derweil nach neuen Anhängern und möchte u. a. die Juden auf seine Seite ziehen. Zunächst erinnert er die Christenheit an das auserwählte Volk: Die Juden sind von dem geblutt Christi, sind blut freund, vettern und bruder unsers hern, sind die größte Rasse der Erde. Durch sie hat der heilige Geist der Welt alle Bücher der heiligen Schrift offenbart. Sie sind die Kinder, wir nur Gäste und Fremde. In Wahrheit sollten wir wie die Frau aus Kanaa glücklich sein, wie Hunde sein zu dürfen, die die herabfallenden Krumen vom Tische ihrer Herren fressen.

 

Dass es im Mittelalter in der alten Kirche immer wieder zu religiös motivierten Pogromen gegen die Juden gekommen war, darauf weist Luther 1523 auf seine derbe Art in der Schrift: Das Jhesus Christus eyn geborner Jude sey hin: Denn unsere narren die Bepste, Bischoff, Sophisten und Munche, die groben esels kopffe, haben bis her also mit den Juden gefaren, das wer eyn gutter Christ were geweßen, hette wol mocht eyn Jude werden. Und wenn ich eyn Jude gewesen wäre und hette solche tolpell und knebel gesehen, [die] den Christen glauben regirn und leren, so were ich ehe eyn saw geworden denn eyn Christen [Desc04].

 

Die Päpste haben sich gegenüber den Juden verhalten wie eine Hurenwirtin, die einem Mädchen die Hurerei lehret, und sie danach beschuldigt, dass sie sich nicht wie eine Jungfrau aufführt [Schi17] und dann an den Juden gehandelt aals weren es hunde und nicht menschen, haben nichts mehr kund thun denn sie schelten und yhr gutt nehmen ... Ich hoff, wenn man mit den Juden freuntlich handelt und aus den heyligen schrifft seuberlich unterweyßet, es sollten yhr viel rechte Christen werden und widder tzu yhrer vetter, der Propheten und Patriarchen glauben tretten [Desc04].

 

 Selbst nach der Taufe habe man ihnen keyn Christlich lere [Lehre] noch leben ... beweyset, sie stattdessen der Bepsterey unnd muncherey [Möncherei] untherworffen [Kauf16]. Luther schreibt: Nicht Papstgesetze, sondern christliche Nächstenliebe sollen unser Verhältnis zu den Juden bestimmen. Juden, wenn sie nicht bey unser tzeyt das Evangelion gehort hetten, keine Christen werden könnten und endet seine Schrift mit der Erwartung: Hie will ichs dis mall lassen bleyben, bis ich sehe, was ich gewirckt habe [Kauf16].

 

 

Darum wollet doch uns Christen nicht für Narren und Gänse halten

 

 Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern waren Juden im Heiligen Römischen Reich geduldet, denn für die Kirche sind sie die Hüter des Alten Testaments, in dem Christus durch die Propheten bezeugt ist. Auch wenn die Juden durch Beschränkungen und finanzielle Abgaben bedrängt sind, genießen sie doch den Schutz des Kaisers und dienen ihm als Kammerknechte [Wend17]. Dieses Judenregal war jedoch im Laufe der Zeit auf die Landesfürsten übergegangen und wurde im Reich recht unterschiedlich gehandhabt.

 

 So verhängt Kurfürst Johann Friedrich in Sachsen zusätzlich zum seit 1432 bestehendem Niederlassungsverbot für Juden im Jahre 1536 nicht nur ein Berufs-, sondern auch ein Durchreiseverbot. Deshalb reist der Rabbiner Josel von Rosheim 1537 nur bis an die sächsische Grenze und bittet Luther, sich beim Kurfürsten für eine Aufhebung der Verbote einzusetzen.

 

Josel, aus dem Elsass stammend, hatte sich 1520 bei der Krönung Karls V. einen Namen gemacht, als er einen kaiserlichen Schutzbrief für alle Juden des Reiches erwirkt. Er wird darauf zum Schtadlan, zum offiziellen, von den Gemeinden anerkannten Vertreter der Juden im Heiligen Römischen Reich. Die Beschränkungen für die Juden in Sachsen stehen im eklatanten Gegensatz zum Schutzbrief des Kaisers. Luther antwortet auf Josels Bitte mit einem Brief an den Fürsichtigen Josel, Juden zu Rosheim, meinem guten Freunde:

 

 Mein lieber Josel! Ich wollte wohl gerne bei meinem gnädigsten Herrn für Euch handeln, beides mit Worten und Schriften, wie denn auch meine Schrift (Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei) der ganzen Judenheit gar viel gedient hat; aber dieweil die Euren solchen meinen Dienst so schändlich missbrauchen und solche Dinge vornehmen, die uns Christen von ihnen nicht zu leiden sind, haben sie selbst damit mir genommen alle Forderung, die ich sonst hatte bei Fürsten und Herren können tun ... Darum wollet doch uns Christen nicht für Narren und Gänse halten und Euch doch einmal besinnen, dass Euch Gott wollte dermaleinst aus dem Elende (Exil), das nun über fünfzehnhundert Jahre lang gewahrte, helfen, was nicht geschehen wird, Ihr nehmet denn Euren Vetter und Herrn, den lieben gekreuzigten Jesus, mit uns Heiden an ... Darum mögt Ihr Eure Briefe an meinen gnädigsten Herrn durch andere vorbringen. Hiermit Gott befohlen. Gegeben aus Wittenberg, Montags nach Barnabae* im 1537. Jahr.

*Fest des Apostels Barnabas am 11. Juni

 

Luthers veränderte Haltung im Jahre 1537 gegenüber den Juden wird vielfach mit seiner Enttäuschung begründet, dass sich seine Hoffnung auf ihre Bekehrung nicht erfüllt hat, doch Geschichtsforscher führen weitere Gründe an: Luther hätte Gerüchte gehört, dass Juden unter seinen evangelischen Christen Proselyten machen. Dass die Elenden, heillosen leute nicht auffhören, uns, das ist die Christen, an sich zu locken und die hätten sich von den Jüden lassen nerren, in ir Elend und jamer zu tretten. Schließlich sind es nur die christlich-täuferischen Sabbather im fernen Böhmen, die ihre Neugeborenen beschneiden lassen und den Samstag zu ihrem Festtage machen [Schi17].

 

Schwerer wiegt da schon der Vorwurf der Lästerreden und Lügen über Christus und Maria, denn auf Gotteslästerung steht im Alten Testament die Todesstrafe. Zwar könne man niemanden zum wahren Glauben zwingen, doch gegen Gotteslästerung müssen sich Christen wehren, sonst werden sie selber schuldig. Schließlich macht Luther den Juden das Alte Testament streitig, das für Luther ein christliches Buch ist, weil es deutlich auf den Messias hinweist [Wend17], wenn er berichtet, Juden seien Anfang der 1540er Jahre, als wir hie zu Wittenberg Hebräisch anfingen zu lesen mit einem von ihn erbetenen freien Geleit gekommen, um ihn zu einem neuen Juden zu machen. Als Martin sie in seinem Sinn zum text zwingen will, entfielen sie mir aus dem text, und berufen sich auf ihren Rabbiner, dem sie in der gleichen Weise Glauben schuldig seien wie die Christen dem Papst. Und so muss Luther hören wie sie mir den Christum einen … erhenckten Schecher genennet [Schi17].

 

 

Drumb jmmer weg mit jnen

 

Schließlich greift Luther 1543 voller Zorn im Artikel Von den Jüden und jren Lügen die zweihundert Jahre alte Mär von der Verbreitung der Pest durch die Juden wieder auf: Ein solch verzweiffelt, durchböset, durchgifftet, durchteuffelt ding ists vm diese Jüden, so diese 1400. Jar vnser plage, Pestilenz vnd alles unglück gewest, vnd noch sind. Summa wir haben rechte Teuffel an ihnen ... Da ist kein Menschlich Herz ...

 

Die Juden beten, dass der Messias komme und die Christen tod schlahen und vertilgen möge. Und weiter: So ists auch unser schuld, das wir das grosse unschuldige Blut, so sie an unserm Herrn und den Christen bey dreyhundert jaren nach Zerstörung Jerusalems, und bis daher, an Kindern vergossen ... nicht rechen, sie nicht todschlahen, Sondern fur alle jren mord, fluchen, lestern, liegen, schenden Frey bey uns sitzen lassen, jre Schule, heuser, leib und gut schützen und schirmen, damit wir sie faul und sicher machen, das sie getrost unser geld und gut uns aussaugen, dazu uns spotten [Kauf16]. Wir erbeiten nicht, haben gute faule tage, die verfluchten Goijm müssen uns für erbeiten, Wir aber kriegen jr Geld, damit sind wir jre Herren, sie aber unser Knechte [Schi17].

 

Zeitgenössisches Judenbild: Bezal odder gib czinß. Ich heyß Rabin und begere alle tzeyt gewinn (©BZ)

 

Und so fragt Luther: Was wollen wir Christen nu thun mit diesem verworffnen, verdampften Volck der Juden? Zu leiden ists uns nicht, nachdem sie bey uns sind, und wir solch liegen, lestern und fluchen von jnen wissen … Betbücher und die Talmudisten soll man einziehen und ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbieten zu lehren oder zu predigen. Geldgeschäfte und Handel sind ihnen zu untersagen, so dass sie wie Adam und Eva nach dem Sündenfall im Schweiße ihres Angesichts mit flegel, axt, karst, spaten, spindel jr brot verdienen müssten. Das Geleit müsse man ihnen aufkündigen, ja am besten sei es, wenn die Deutschen sich gemeiner klugheit der anderen Nationen, als Franckreich, Hispanien, Behmen etc anschlössen und die Juden das zurückzahlen ließen, was sie uns abgewuchert, und sie dann auf ewig des Landes verweisen [Schi17]

 

So können wir des unleschliche feuer Göttlichs zorns nicht leschen, noch die Juden bekeren. Wir müssen mit gebet und Gottes furcht eine scharfe barmhertzigkeit uben. Zu dieser scharfen Barmherzigkeit gehöre, fährt Luther fort, jre Synagoga oder Schule mit feur anstecke und was nicht verbrennen will, mit erden uber heuffe und beschütte, das kein Mensch ein stein oder schlacke davon sehe ewiglich, yre Heuser des gleichen zerbreche und zerstöre, damit man mag sie unter ein Dach oder Stal thun, wie die Zigeuner auff das sie wissen, sie seien nicht Herrn in unserm Lande, wo sie rhümen, sondern in Elend und gefangen ... denn alles was sie haben haben sie uns gestolen und geraubt durch jren Wucher [Crai82]. Christus unser Herr, bekere sie barmherziglich [Schi17].

 

Schließlich geht es Luther nur um den Glauben, seinen evangelischen Glauben. In seiner Predigt an seinem Todestag in Eisleben spricht Luther sein letztes Wort in der Judenfrage: Bekehren sie sich nicht, so sollen wir sie auch bei uns nicht dulden noch leiden. Drumb jmmer weg mit jnen [Kauf16], doch wo sie sich aber bekeren und ihren Wucher lassen und Christum annehmen, so wollen wir sie gerne als unsere Brüder halten [Schi17].

 

 

Der Reformator ein Antisemit?

 

 Adolf Hitler meint 1924: Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung; sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen [Ecka24], so dass Karl Jaspers im Deutschen Bundestag feststellte: Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern [Desc04]. Luther als Kronzeuge der Nazis? Nein, sicher nicht, denn es steht, schlimm genug, einer Massenvertreibung aus religiösen ein Massenmord aus rassischen Gründen gegenüber [Wend17].

 

 

Die göttliche Brutalität des Bruder Martin

 

Heine erklärt in seiner Schrift Zur Geschichte, der Religion und Philosophie in Deutschland den Bewohnern seines Gastlandes Martin Luther und die Reformation [Hein34]: Wie von der Reformation, so hat man auch von ihrem Helden sehr falsche Begriffe in Frankreich. Die nächste Ursache dieses Nichtbegreifens liegt wohl darin, daß Luther nicht bloß der größte, sondern auch der deutscheste Mann unserer Geschichte ist; daß in seinem Charakter alle Tugenden und Fehler der Deutschen aufs Großartigste vereinigt sind; daß er auch persönlich das wunderbare Deutschland repräsentiert.

 

Dann hatte er auch Eigenschaften, die wir selten vereinigt finden, und die wir gewöhnlich sogar als feindliche Gegensätze antreffen. Er war zugleich ein träumerischer Mystiker und ein praktischer Mann der Tat. Seine Gedanken hatten nicht bloß Flügel, sondern auch Hände; er sprach und handelte. Er war nicht bloß die Zunge, sondern auch das Schwert seiner Zeit. Auch war er zugleich ein kalter scholastischer Wortklauber und ein begeisterter, gottberauschter Prophet. Wenn er des Tags über mit seinen dogmatischen Distinktionen sich mühsam abgearbeitet, dann griff er des Abends zu seiner Flöte, und betrachtete die Sterne und zerfloß in Melodie und Andacht. Derselbe Mann, der wie ein Fischweib schimpfen konnte, er konnte auch weich sein, wie eine zarte Jungfrau. Er war manchmal wild wie der Sturm, der die Eiche entwurzelt, und dann war er wieder sanft wie der Zephyr, der mit Veilchen kost. Er war voll der schauerlichsten Gottesfurcht, voll Aufopfrung zu Ehren des heiligen Geistes, er konnte sich ganz versenken ins reine Geisttum; und dennoch kannte er sehr gut die Herrlichkeiten dieser Erde, und wußte sie zu schätzen, und aus seinem Munde erblühte der famose Wahlspruch: Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein lebenlang.

 

Luther als musischer Familienvater von Gustav Adolph Spangenberg

Er war ein kompletter Mensch, ich möchte sagen ein absoluter Mensch, in welchem Geist und Materie nicht getrennt sind. Ihn einen Spiritualisten nennen, wäre daher eben so irrig, als nennte man ihn einen Sensualisten. Wie soll ich sagen, er hatte etwas Ursprüngliches, Unbegreifliches, Mirakulöses, wie wir es bei allen providentiellen Männern finden, etwas schauerlich Naives, etwas tölpelhaft Kluges, etwas erhaben Borniertes, etwas unbezwingbar Dämonisches...

 

In seinen Streitschriften [im Gegensatz zu seiner Bibelübersetzung] überläßt er sich einer plebejischen Rohheit, die oft ebenso widerwärtig wie grandios ist...  Durch diesen barocken Felsenstil erscheint uns der kühne Mönch manchmal wie ein religiöser Danton, ein Prediger des Berges, der, von der Höhe desselben, die bunten Wortblöcke hinabschmettert auf die Häupter seiner Gegner.

 

Ruhm dem Luther! Ewiger Ruhm dem teuren Manne, dem wir die Rettung unserer edelsten Güter verdanken, und von dessen Wohltaten wir noch heute leben! Es ziemt uns wenig, über die Beschränktheit seiner Ansichten zu klagen. Der Zwerg, der auf den Schultern des Riesen steht, kann freilich weiter schauen als dieser selbst [..,]. Es ziemt uns noch, weniger über seine Fehler ein herbes Urteil zu fällen; diese Fehler haben uns mehr genutzt, als die Tugenden von tausend andern.

 

 Die Feinheit des Erasmus und die Milde des Melanchthon hätten uns nimmer so weit gebracht wie manchmal die göttliche Brutalität des Bruder Martin. Ja, der Irrtum in Betreff des Beginnes, wie ich ihn oben angedeutet, hat die kostbarsten Früchte getragen, Früchte, woran sich die ganze Menschheit erquickt. Von dem Reichstage an, wo Luther die Autorität des Pabstes leugnet und öffentlich erklärt: "daß man seine Lehre durch die Aussprüche der Bibel selbst oder durch vernünftige Gründe widerlegen müsse!" da beginnt ein neues Zeitalter in Deutschland. Die Kette, womit der heilige Bonifaz die deutsche Kirche an Rom gefesselt., wird entzwei gehauen. Diese Kirche, die vorher einen integrierenden Teil der großen Hierarchie bildete, zerfällt: in religiöse Demokrazien [...] Es entsteht das evangelische Christentum  [Hein34].

 

 

Der ewige Deutsche

 

Heines Versuch, Luther den Franzosen näher zu bringen, muss scheitern, wie der deutschnationale Gerhard Ritter in seinem Buch über Luther schreibt: … zu voller und reiner Wirkung ist der von ihm gegebene Anstoß fast nur in Deutschland gelangt; und nur wir Deutschen vermögen seine Bedeutung ganz zu erfassen, weil nur, wer seines Blutes und Geistes ist, ihn aus der Tiefe seines Wesens versteht, und ... er hat dem metaphysischen Wesen der Deutschen zum Selbstbewusstsein verholfen. Er hat es erst eigentlich ans Licht gebracht. Er ist wir selber: der ewige Deutsche [Ober18].

 

 

Jedermann sein eigener Priester

 

Nahtlos schließt Thomas Mann 1945 in seiner Rede zu seinem 70. Geburtstag Deutschland und die Deutschen an Ritters deutschen Mann an: Martin Luther, eine riesenhafte Inkarnation deutschen Wesens, war außerordentlich musikalisch. Ich liebe ihn nicht, das gestehe ich ganz offen. Das Deutsche in Reinkultur, das Separatistisch-Antirömische, Anti-Europäische befremdet und ängstigt mich, auch wenn es als evangelische Freiheit und geistige Emanzipation erscheint, und das spezifisch Lutherische, das Cholerisch-Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste, verbunden mit zarter Gemütstiefe und dem massivsten Aberglauben an Dämonen, Incubi und Kielkröpfe, erregt meine instinktive Abneigung. Ich hätte nicht Luthers Tischgast sein mögen, ich hätte mich wahrscheinlich bei ihm wie im trauten Heim eines Ogers gefühlt und bin überzeugt, daß ich mit Leo X., Giovanni de Medici, dem freundlichen Humanisten, den Luther "des Teufels Sau, der Babst" nannte, viel besser ausgekommen wäre. Auch erkenne ich den Gegensatz von Volkskraft und Gesittung, die Antithese von Luther und dem feinen Pedanten Erasmus gar nicht als notwendig an … Und wer wollte leugnen, daß Luther ein ungeheuer großer Mann war, groß im deutschesten Stil, groß und deutsch auch in seiner Doppeldeutigkeit als befreiende und zugleich rückschlägige Kraft, ein konservativer Revolutionär.  Er stellte ja nicht nur die Kirche wieder her; er rettete das Christentum. Man ist in Europa gewohnt, der deutschen Natur den Vorwurf der Unchristlichkeit, des Heidentums zu machen. Das ist sehr anfechtbar. Deutschland hat es mit dem Christentum am allerernstesten genommen. In dem Deutschen Luther nahm das Christentum sich kindlich und bäuerlich tiefernst zu einer Zeit, als es sich anderwärts nicht mehr ernst nahm. Luthers Revolution konservierte das Christentum - ungefähr wie der New Deal die kapitalistische Wirtschaftsform zu konservieren gemeint ist, - wenn auch der Kapitalismus das nicht verstehen will. Nichts gegen die Größe Luthers! Er hat nicht nur durch seine gewaltige Bibelübersetzung die deutsche Sprache erst recht geschaffen, die Goethe und Nietzsche dann zur Vollendung führten, er hat auch durch die Sprengung der scholastischen Fesseln und die Erneuerung des Gewissens der Freiheit der Forschung, der Kritik, der philosophischen Spekulation gewaltigen Vorschub geleistet. Indem er die Unmittelbarkeit des Verhältnisses des Menschen zu seinem Gott herstellt, hat er die europäische Demokratie befördert, denn 'Jedermann sein eigener Priester'[Fric18]. 

 

Hat er die europäische Demokratie befördert? Er war ein Freiheitsheld – aber im deutschen Stil, denn er verstand nichts von Freiheit [Ulbr16].

 

 

Der stiernackige Gottesbarbar

 

In seinem Essay Die drei Gewaltigen von 1949 wiederum geniert sich Thomas Mann nicht, den Stil Heines aufzunehmen: Die drei Gewaltigen, von denen ich hier spreche - um mit wahrer Herzensneigung nur von. einem von ihnen zu sprechen, sind Luther, Goethe und Bismarck. Im sechzehnten Jahrhundert erschien der erste, Martin Luther, der Reformator, der die konfessionelle Einheit des Erdteils sprengte, ein Fels und ein Schicksal von einem Menschen, ein. heftiger und roher, dabei tief beseelter und inniger Ausbruch deutscher Natur, ein Individuum, klobig und zart zugleich, voller Wucht und Getriebenheit, von bäurisch volkstümlicher Urkraft, Theolog und Mönch, aber ein unmöglicher Mönch, „denn der Mann kann durch natürliche Begier des Weibes nicht entbehren" - , sinnlich und sinnig, revolutionär und rückschlägig aus der Renaissance, mit deren Humanismus er keine Fühlung hatte, ins Mittelalter durch stete Balgerei mit dem Teufel und massivsten Aberglauben an Dämonen und Kielkröpfe, geistlich verdüstert und doch lebenshell kraft seiner Liebe zu Wein, Weib und Gesang, seiner Verkündigung „evangelischer Freiheit", schimpffroh, zanksüchtig, ein mächtiger Hasser, zum Blutvergießen von ganzem Herzen bereit: mit den Waffen, schreibt er, müsse man die Pest des Erdkreises angreifen, die Kardinale, die Päpste und das ganze Geschwür des römischen Sodom, und sich die Hände im Blute waschen; ein militanter Anwalt des Individuums, seiner Gottesunmittelbarkeit und geistlichen Subjektivität gegen das Objektive, die kirchliche Ordnungsmacht, und dabei ein Erzieher seines Volkes zur Untertänigkeit vor gottgewollter Obrigkeit, der die aufständischen Bauern zu stechen, zu schlagen, zu würgen auffordert; dem Humanismus seiner Tage, auch dem deutschen, vollkommen fremd, aber desto gemütstiefer versenkt in deutsche Mystik; ein widerborstiger Orthodoxer, der aus der Kirche nur austritt, um eine Gegenkirche mit einem Gegendogma, mit neuer priesterlicher Scholastik und neuen Verketzerungen zu errichten; antirömisch nicht nur, sondern antieuropäisch, furios nationalistisch und antisemitisch, tief musikalisch dabei, auch als Gestalter der deutschen Sprache: - seine Bibelübersetzung, eine literarische Tat ersten Ranges, von der jungen Druckerpresse in Tausenden von Exemplaren ins Volk geschleudert, dankt seiner Musikalität so viel wie seinem liebevollen Ohr für den innigen Tonfall der Mystik, sie schuf die deutsche Schriftsprache und gab dem politisch und religiös zerrissenen Lande die literarische Einheit, — Was nach und von ihm kam und was Erasmus vorhergesagt hatte, entsetzliches Blutvergießen im Glaubenszwist, Bartholomäusnächte, Krieg dreißig Jahre lang, Deutschland entvölkert und in der Kultur zurückgeworfen um Jahre, dreimal soviel, das hätte der stiernackige Gottesbarbar bereitwillig auf diesen seinen gedrungenen Hals genommen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders" [Fric18].

 

 

Los von Rom?

 

Am 18. April 1524 beschließt der Reichstag zu Nürnberg in einem Abschied, dass jeder Stand vorerst so viel als möglich dem Wormser Edikt, d. h. der Rückkehr zum alten Glauben, nachkomme und dass vom Papst baldigst ein Konzil in Deutschland einberufen werden solle. Weil man die Beschwerungen des Wormser Reichstags von 1521 gegen den Stuhl von Rom aber nicht vergessen hat, unterstützen in Nürnberg alle Stände, alle Bischöfe und selbst des Kaisers Bruder Erzherzog Ferdinand die Bildung einer Ecclesia Germanica, zu der sich am 11. November, dem Martinstag (sic!) des gleichen Jahres, eine gemeine Versammlung aller Stände deutscher Nation in Speyer sich neuerdings vereinige [Ober03], um zu beschließen, was bis zum Konzil geschehen habe. Durch gelehrte Räte sollen die Stände einen Auszug aller neuen Lehren und Bücher, was daran disputierlich befunden, anfertigen und Ferdinand vorlegen lassen [Kreb20]. Soll hier eine deutsche Kirche den Anhängern Luthers den Wind aus den Segeln nehmen?

 

Derweil treibt der Reformator den Aufbau seiner Kirche kräftig voran. So hat D Luther Annno 1524. in Magdeburg eine Predigt am 6. Sonntag nach Trin. in der Pfarrkirche zu S. Johannis abgeleget, und denen Magdeburger Herren Nicolaum von Amsdorff, Adeliges Geschlechts, zum Pfarrer vorgeschlagen, welcher auch von ihnen angenommen, und bey S. Ulrich gantzer 18. Jahr gelehret, biß er zum Bischoff von Naumburg erkohren, und von Magdeburg sich dahin begeben [Magd89].

 

 

Der Landesherr besucht Freiburg

 

Vom Landtag in Breisach kommend besucht Landesherr Erzherzog Ferdinand am 13. Mai 1524 Freiburg. Standesgemäß bezieht er die Fürstenwohnung im Predigerkloster. Nach alter Sitte verehrte ihm die Stadt an Geld 270 Gulden, zwei Fuder Wein, dreißig Mutt Hafer und für 17 Gulden Fische [Schr57]. Diese Einmalzahlung steckt Ferdinand gern ein, doch sein Sinn geht nach mehr. Er hatte den Landtag einberufen, nicht etwa um seinen Unterthanen seinen gnädigen Willen in ihrem Beisein zu bezeigen, sondern um zur eifrigen Verfolgung der Irrlehre zu mahnen und vor allem, um eine landesständige Geldbewilligung durchzusetzen [Bad82].

 

Wohl um Ferdinand davon abzulenken, kamen nun auch diese kirchlichen Wirren zur Sprache, wobei über die abgefallenen Städte sehr bittere Urtheile fielen. Die Abgeordneten von Freiburg ließen sich besonders laut vernehmen: Luthers Lehre verleitet den gemeinen Mann zu Ketzerei, zum Bundschuh und Aufruhre. Daher wird Freiburg seine sectierischen Priester und Laien strenge bestrafen und auch alle Einwohner der Stadt zur Verantwortung ziehen, welche auswärtige Sectierer behausen, selbige mögen sein, wer sie wollen [Bade82].

 

Der Landesherr aber möchte zurück zum Thema Geld. Deshalb beschwichtigt er die Ständevertretung und weist stattdessen die Freiburger Hochschule an, keine Studenten mehr aufzunehmen, die die Universitäten Wittenberg oder Leipzig besucht hätten. Studenten aus den Vorlanden sollen ausschließlich an den katholischen Hochschulen Freiburg oder Ingolstadt immatrikuliert werden.

 

Die Gläubigen ermahnt er zu wahrhafter Reue und zu bußfertigem Leben sowie zur Einhaltung der Fasten- und Beichtpflichten und hält die Priester an, kräftig Weihwasser zu spenden, zum Angelus-Gebet zu läuten, regelmäßig Prozessionen und Bittgänge zu veranstalten und mit einem Beichtregister zu kontrollieren, ob alle die Osterbeichte ablegen [Hug17a].

 

 

Post vom Landesherren

 

Am 4. Juli 1524 schickt Ferdinand vom Regensburger katholischen Fürstentag einen Brief an die Albertina mit dem Auftrag, ihm eine Aufstellung der kirchlichen Lehrsätze der Neuerer, die in der Diskussion stehen, zu schicken: Zeitliche Gnade des Fürsten bei jeder Gelegenheit und ewige Belohnung von Gott sollen ihr - der Freiburger Universität – dafür zu Theil werden [Schr59]. Das Gutachten muss auf der im Frühjahr auf dem Nürnberger Reichstag beschlossenen und für den Martinstag des Jahres 1524 einberufenen Dieta in Speyer vorliegen. Bekanntlich soll diese gemeinsame Versammlung deutscher Nation einem geplanten Konzil in Deutschland Vorarbeit leisten und bestimmen, was künftig gepredigt und gedruckt werden darf [Kreb20].

 

Bei dem knappen Abgabetermin machen es sich die Freiburger bequem und schreiben im ersten Teil ihres Gutachtens aus der Bannbulle Exsurge domine vom Juni 1520 und aus dem ausführlichen Gutachten der Pariser Universität: Determinatio super doctrina Lutheri hactenus revisa vom April 1521 ab. So kann die Universität das Gutachten rechtzeitig fertigstellen und am 12. Oktober 1524 an Erzherzog Ferdinand schicken.

 

Doch ist auf dem Speyrer Tag am 11. November davon nicht die Rede, hatte doch Karl V. in einem Brief vom 15. Juli 1524 aus Burgos verboten, auf dem Conciliabulum religiöse Fragen zu behandeln. Schließlich möchte der Kaiser sein gespanntes Verhältnis zum Papst nicht noch weiter belasten.

 

 

 

Die Reformation

 

 

Zurück zu Maximilian I.

 

 

 

 

Daß künftig die heilige Schrift
 nur in ihrem ächten Sinn dem Christenvolk ausgelegt werde

 

Während also der erste Teil des von Georg Wägelin verfassten Gutachtens Plagiatcharakter hat, liest sich der zweite Teil ausgesprochen reformatorisch, wenn die Universität verlangt, daß künftig die heilige Schrift nur in ihrem ächten Sinn dem Christenvolk ausgelegt und dabei alles Andre, bis auf Ammenmärchen und Träumereien beseitigt werde. Keiner sollte sich mehr unterfangen dürfen, eigne Meinungen dem Evangelium zu unterschieben.  

 

Die Ablässe sollten vermindert und Stationirer und Terminirer* nicht so leichthin geduldet werden; da sie häufig nur Wunder, Zeichen und Krankenheilungen, welche sie selbst erdichtet haben, ausposaunen und den Leuten unverschämt Märchen aufbinden.

*Die Stationirer durchziehen jeden Ort mit den Reliquien irgend eines Heiligen, welche Wunder thun und besonders Krankheiten heilen sollen; ja es ist wohl nicht leicht eine Krankheit, gegen welche die Stationirer nicht einen Heiligen hätten. Sie treiben den Unfug so weit, daß sie den Armen und Einfältigen, so zu sagen, das Blut und Mark aussaugen und dafür mit ihren Kindern in Schwelgerei und Wollust, noch schlimmer als die Sybariten (Sybaris ist eine Stadt in Lucanien, deren Bewohner als höchst wollüstig galten) leben. Das Amt eines Stationirers möchte daher fernerhin nicht mehr geduldet sein. Nicht weniger werden die Laien, besonders die Armen, von Religiösen hart bedrängt. Die Terminirer durchstreichen Stadt und Land; zu diesen Landstreichereien hat sie nicht das Bedürfniß, sondern der unersättliche Geiz hingeführt. Sie nehmen Alles an sich und daher kommt es, daß oft die Bewohner des Landes darben müssen, weil sie das hingegeben haben, was sie mit der größten Anstrengung erst erworben und wovon sie mit ihren Familien anständig gelebt hatten. Aus den Gravamina des Reichstags zu Nürnberg 1522/23 [Neud35].

 

Die bischöflichen Ordinariate sollten bei ihren Amtshandlungen (Bestätigungen, Vollmachten und dergleichen) strenger sein; Dispensen auf ein rechtliches und vernünftiges Maß zurückgeführt, so wie Fälle nur aus den höchsten und dringendsten Gründen vorbehalten und alle Absolutionen unentgeldlich ertheilt werden.  

 

Kirchliche Censuren sollten nur als geistliche Arznei (spiritualis quaedem medicina) behandelt und das Joch Christi erleichtert werden. Denn gegenwärtig werde die Kirche durch so viel Menschensatzungen, Dienste und Lasten gedrückt, daß der ehemalige Zustand der Juden erträglicher dagegen erscheine, obgleich sie die Zeit der Freiheit noch nicht gekannt hätten. Demnach sollte bei Satzungen und Dispensen mehr das Seelenheil als der Gewinn beachtet werden; denn manche der Ersteren untersagten als böse und unerlaubt, was auf Bezahlung sofort gut und erlaubt werde. Das einzige Böse, wofür es keine Dispens gebe, sei mitunter nichts Anderes als kein Geld haben.  

 

Interdicte sollten nicht wegen eines einzigen Schuldigen über ganze Gemeinden verhängt, auch sollte geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit auseinander gehalten werden.  

 

Exemtionen von der Gerichtsbarkeit der Ordinariate sollten vermieden werden; denn nicht nur zerfalle solche dadurch, sondern auch die Leichtigkeit zu sündigen wachse um so mehr, wenn Niemand strafe als der Papst. Auch alle Arten von Simonie, namentlich die großen Anfoderungen*, welche bei manchen bischöflichen Offizialen für Weihen von Priestern und Kirchen, für Ehesachen und Anderes, — so wie für Taxen, Schreib- und Siegelgebühr, — üblich sind, wären zu beseitigen.  

*Kein Druckfehler. Auch Schiller schreibt fodern statt fordern

 

Die Curtisanen (wie man sie nennt)* ohne Studien und Kenntnisse, beeinträchtigen nicht selten gelehrte und redliche Männer durch allerlei ausgesuchte Ränke in Stellen, deren solche für ihren Lebensunterhalt bedürfen …

*Hier wohl Männer, die ohne das nötige Wissen durch Beziehungen gut dotierte Stellen etwa in Domkapiteln bekleiden  

 

Von einer umsichtigen und kräftigen Handhabung dieser von ihr beantragten Punkte glaubt die Universität eine neue, Allen wohlgefällige Gestaltung der Kirche Christi erwarten zu dürfen [Schr59].

 

 

Dass wir das heilig Ewangelium trewlich verkinden lassen

 

Während linksrheinisch und vor allem in Straßburg die Reformation weiter fortschreitet, gibt sich der Freiburger Stadtrat katholischer als die Universität. Gegen die Angriffe von jenseits des Rheins rechtfertigen sich die Herren fest im althergebrachten Glauben mit starken Worten gegen hussitische Einflüsse und aufrührerische Gedanken in Luthers Lehre: Als ob wir das Ewangelium verhindern, unsere Burger unnd den gemein Man unbillich thurnen (gefangensetzen) und sy sunst in ander Weg besweren söllen ... dass wir das heilig Ewangelium trewlich verkinden lassen ... und nyendert (niemals) gehindert, anders das dann wir die Satzung der heiligen cristenlichen Kirchen, so byßhar (bisher) vil hundert Jar gehalten sind worden, nit abthun, noch ouch dem Ewangelio den verdampten hussischen Glouben inmyschlen lassen und Reytzung der Underthonen gegen Obern nach Meynung der lutteryschen Sect gestatten wöllen [Haum01].

 

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