Kaiser Franz I. (II.)
|
Freiburgs Geschichte in Zitaten |
||
Die Restauration
|
|||
Freiburg als Durchgangsstadt
Als im Winter 1812 und 13 der Koloß französischer Oberherrschaft auf den Eisfeldern Rußlands dahinstürzte, wogten von allen Seiten die verbündeten Heere in ungeheuren Massen gegen den Rhein heran; und zogen größtenteils durch Freiburg und das Breisgau hinauf, nicht selten 15 bis 20,000 Mann an einem Tage, um bei Basel den Rheinübergang auszuführen. [Schr25].
Der Kaiser von Österreich traf gestern hier ein
Am 15 Dezember 1813 trifft Kaiser Franz I. (der ehemalige römisch-deutscher Kaiser Franz II.) in Freiburg ein. Darüber schreibt der britische Militärbevollmächtigte, Lord Burghersh an den britischen Außenminister Viscount Castlereagh:
Freiburg, den 16. Dezember 1813: My Lord, ich habe die Ehre, Eurer Herrlichkeit meine Ankunft an diesem Orte am 14. d. M. anzuzeigen ... Der Kaiser von Österreich traf gestern hier ein. Es hat mir zur höchsten Genugthuung gereicht, Zeuge des Empfanges zu sein, welchen die Einwohner dieser Stadt ihrem ehemaligen Herrscher bereiteten. Der Breisgau (in welchem diese Stadt liegt) hatte viele Jahrhunderte hindurch dem Hause Österreich gehört. Die Bevölkerung hing fest an ihm und hatte niemals aufgehört, ihre Trennung von einer Regierung zu beklagen, deren mildes und väterliches Walten sie durch so viele Menschenalter beschützt und glücklich gemacht hatte. Die Rückkehr ihres alten Souveräns, im Glanze so vieler Triumphe über einen Feind, der in diesem Lande verabscheut wird, bot eine Gelegenheit, ihm ihre Anhänglichkeit zu zeigen, die zu verlockend war, um ihr widerstehen zu können. Das Volk eilte ihm bis weit vor die Stadt entgegen, begleitete ihn mit Zurufen bis in sein Absteigequartier, sammelte sich die ganze Nacht hindurch in Haufen vor seinen Thoren und gab seine Freude über seine Rückkehr in seine Mitte und seine Anhänglichkeit an seine Person kund. Ich war niemals Zeuge größerer Begeisterung noch eines entschiedeneren Ausdrucks solcher Gefühle, welche in gleicher Weise die, welche ihnen folgten, wie den Souverän ehren, dem sie galten [Raye91]. Unter Vivat-Rufen stimmt die Menge die österreichische Kaiserhymne: Gott erhalte Franz den Kaiser an.
Begeisterter Empfang für Franz I. in Freiburg
Loßreißung von dem milden Scepter, der seit Jahrhunderten uns beglückte*
Alte Gefühle und Vorurteile brechen wieder auf: Wien und das habsburgisch katholische Österreich sind den Freiburgern näher als Karlsruhe und das protestantische Nordbaden. Der Freiburger Historiker und Jurist Professor Karl von Rotteck schürt das Feuer mit einem anonymen Flugblatt: Heute nachmittags wurde unsere Stadt durch die höchsterfreuliche Ankunft seiner kaiserlichen Majestät ... beglückt ... beym Empfang des menschen-freundlichsten Fürsten: nur freyer Erguß des vollen Stromes der Liebe ... So wie der gute Vater von liebenden Kindern, so wurde Kaiser Franz von seinen ehemaligen Unterthanen empfangen. In den Tausenden, die ihm entgegenströmten, nur eine Empfindung, nur eine Seele. Das unaufhörliche Lebehoch! erfüllte die Lüfte und übertönte der Glocken festlichen Klang; Männer und Weiber, Kinder und Greise weinten, Unbekannte umarmten sich wie Freunde, Fremde wurden Brüder! - Von dem Thor ... durch die lange Kaiserstraße ... - nur eine Masse jubelnder Menschen, auf der Straße wogend und in den Fenstern zusammengedrängt ... Seine Majestät, zu Pferde, mit Huld und sichtbarer Rührung, grüßten wiederholt die Menge [vonA62]. *Äußerung Karl von Rottecks über seinen Trennungsschmerz vom Hause Österreich
Der Kaiser nimmt Wohnung in der Commende des Deutschen Ordens in der Salzstraße. Am 22. Dezember folgt ihm Zar Alexander I. Zu Ehren der in Freiburg anwesenden gekrönten Häupter veranstaltet die Museumsgesellschaft am 30. Dezember einen festlichen Ball.
Gern will ich nun sterben, denn ich sterbe als freier Deutscher
Der greise Johann Georg Jacobi begrüßt begeistert die Ankunft der beiden Kaiser und ihrer Truppen in Freiburg: Gern will ich nun sterben, denn ich sterbe als freier Deutscher [Baum10] und schreibt bettlägerig zum Jahreswechsel die folgende Ode:
Vom Jubelschall begleitet
Heil uns! Durch Freiburgs Tore zogen
Der (!) Münster ist auswendig und inwendig sehr schön
Als Preußens Friedrich Wilhelm III. am 4. Januar 1814 nach Freiburg kommt stirbt der Sokrates Freiburgs. Zu früh für Jacob Grimm, den älteren der Brüder Grimm, der Freiburg auf der Durchreise nach Paris vom 16. auf den 17. Januar besucht und von Johann Peter Hebel in Karlsruhe eine Empfehlung an Jacobi erhalten hatte. Der aus dem Exil in Prag nach Kassel zurückgekehrte hessische Kurfürst Wilhelm I. hatte Grimm, den ehemaligen Bibliothekar des Königs von Westfalen Jérôme Bonaparte, zum Leiter einer Delegation ernannt, Beutekunst, die der jüngste Bruder Napoleons aus dem Kasseler Schloss Napoleonshöhe - nun wieder Wilhelmshöhe - nach Frankreich verschleppt hatte, zurückzuführen. Jacob schreibt an seinen Bruder Wilhelm: Freiburg muß im Sommer ausnehmend schön liegen, ist aber nicht so gut gebaut, noch so groß wie Heidelberg, doch freundlich und wohlhabend, aber der (!) Münster ist auswendig und inwendig sehr schön, geräumig und voll Glasmalereien, ein Altargemälde von Hans Baldung, wenn ich den Namen recht behalten habe [Joos13].
|
Fünfwundenkreuz in Freiburger Stadtteil Stühlinger |
Thurm; prächtig …
Vom 4. bis 12. Januar 1814 weilt auch Prinz Wilhelm* als 17-Jähriger in Begleitung seines Vater Friedrich Wilhelm auf dem Frankreichfeldzug in Freiburg. Er führt ein Tagebuch im Stile eines Schülers, wobei er durchaus die Schönheiten Freiburgs erwähnt, etwa als er für den 5. Januar einträgt: Dann ritten wir raus um die leichte russische Garde Cav. Division zu sehen. – Darauf ritten wir auf den Schlossberg, von wo man eine herrliche Aussicht hat; schönes mildes Wetter. Dann gingen wir einen Augenblick in den herrlichen gothischen Dom; wunderschöne Glasmahlerei. Thurm; prächtig … Thee. Fritz angekommen (der nachmalige preußische König Friedrich Wilhelm IV.). *der spätere Kaiser Wilhelm I.
Das Münster muss ihn nachhaltig beeindruckt haben, wenn er für den 6. Januar notiert: Dejeuner. Dann ging alles nach dem Münster, der von innen und außen schöner wird, jemehr man ihn analisirt. Dann gingen wir spatzieren. Zu Tisch kam Ob. La Roche und Knobelsdorff, welch viel von der Stuttgardter Parade erzählten … Thee und Souper [Krau14].* *Bei dieser Parade ließ der franzosenfreundliche König Friedrich I. von Württemberg - schließlich war seine Tochter Katharina mit Napoleons jüngstem Bruder Jérôme Bonaparte, dem König von Westfalen, verheiratet - die aufmarschierten preußischen Truppen absichtlich, wie man sagte, mehrere Stunden warten.
Was Stadt und Land bei diesen Ereignissen gelitten ...
Die anwesenden hohen Herren mit dem „von“ darunter die Österreicher Metternich, Schwarzenberg und die Preußen Hardenberg, Stein, Humboldt (Wilhelm) treffen sich zu Besprechungen, aber auch zu Diners und auf Bällen, doch was Stadt und Land bei diesen Ereignissen gelitten, vermag wohl keine Feder auszuführen. Nichts seltenes war es, in geringen Bauernhöfen hundert bis zweihundert Mann Einquartierung zu finden, wobei der Ertrag und die Ersparniß eines ganzen Jahres in wenig Tagen hinschwanden [Schr25]. Nicht nur Teuerung und Not sind die Folge, sondern wegen der Massierung der Truppen brechen Seuchen wie Ruhr und Fleckfieber aus, die sich bald auch unter der Zivilbevölkerung ausbreiten. So sterben mehr Menschen in der Etappe als auf den Schlachtfeldern und bald zählt man 40 000 Tote, die in Massengräbern beigesetzt werden. Von der damaligen Not zeugt das Fünfwundenkreuz, welches an seinem Fuß die folgende Inschrift trägt: Um dieses Kreuz ruhen tausende von Söhnen des Deutschen Vaterlandes welche in den Kriegsjahren 1813–1814 als Militär auf dem Wege erkrankten in Freiburg starben und hier beerdigt wurden. Gedenket dieser armen Seelen in einem andächtigen Vaterunser. O' Herr gieb Ihnen die ewige Ruhe.
|
S. Hermanus Primus: Marchio Badensis Zaerigensis pastor pecorum cluniaci in Burgundia sepultus MLXXIV. Der Erste Hermann, Stammvater der Markgrafen von Baden. Standbild in der Klosterkirche St. Peter
|
Die badische Regirung wird wie Druck und Tyrannei betrachtet
Auch Jacob Grimm fällt bei seinem Kurzbesuch in Freiburg die Anhänglichkeit der Breisgauer an das Haus Habsburg auf: Übrigens Stadt und Land (das Breisgau) noch herzöstreichisch, Kaiser Franz ist mit Wonne eingeholt worden. Bei seinem Einzug in die Stadt versuchen Bürger, die kaiserliche Kutsche zu ziehen, und als er sich das Ziehen verbat und deswegen aus dem Wagen auf ein Pferd gestiegen war, sollen sie sich an das Pferd gebunden haben. Weiter berichtet Jacob seinem Bruder über die politische Stimmung in der Bevölkerung: Auch ist ihre einzige Hoffnung, daß sie wieder zu Österreich kommen und die badische Regirung wird wie Druck und Tyrannei betrachtet, die Auflagen (Steuern) sind ungeheuer ..., und ich habe brave und vernünftige Leute ordentlich rührend klagen hören, wie stiefmütterlich man von Carlsruhe aus diese Provinz behandelt. Der Theologieprofessor Johann Leonhard Hug zeigt Jacob die Stadt, die Universität und natürlich dem Experten aus Kassel deren Bibliothek. Hug bezichtigt die Karlsruher Regierung die Universität Heidelberg zu bevorzugen, so daß auch einige von dort hierher gebrachte Profeßoren, die man dort nicht gewollt oder leicht entbehrt, hier nichts Gutes gestiftet hätten [Joos13].
Johann Daniel Schoepflins
Bei der allgemeinen Begeisterung für das Haus Habsburg bleibt dem aus dem Hause Baden-Durlach stammenden Großherzog Karl Friedrich nur, auf seine Zähringer Vorfahren hinzuweisen. In der Tat hatte Johann Daniel Schoepflin um 1760, als er im Auftrag Karl Friedrichs die Familiengeschichte erforschte, im Kloster St. Peter Urkunden entdeckt, die Bertold I. als gemeinsamen Stammvater der Zähringer und der Markgrafen von Baden ausweisen. Bertolds zweiter Sohn, Hermann, war zwar als Mönch im Kloster von Cluny 1074 gestorben, doch hatte er vorher noch ganz legitim einen Sohn gezeugt. Insgesamt folgen auf den ersten noch sechs weitere Markgrafen mit dem Namen Hermann, während es in der direkten Linie der Zähringer nur fünf Bertolde gibt [Schw93].
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Die Breisgauer sind voller Optimismus, was ihre Rückkehr an das Haus Österreich angeht. In froher Erwartung prägt die Freiburger Münze bereits eine Medaille mit den Inschriften: Zum Andenken der Wiedervereinig: Breisgaus mit Oestreich. Freyburg 1815 mit einer auf einem Sockel stehenden Büste Franz I. Treue und Liebe. Im Sockel ist eingemeißelt: Unsre Wünsche sind erfüllt.
Vergeblich jedoch hoffen die Freiburger, dass der Kaiser auf dem Rückweg von Paris nach Wien wieder Station in ihrer Stadt macht. So wird schließlich aus der Begeisterung für Österreich Hochverrat, als Anfang Juni 1814 Oberbürgermeister Adrians und fünf weitere städtische Abgeordnete nach Basel fahren, um den dort durchreisenden Franz I. untertänigst um die Wiedervereinigung Freiburgs und des Breisgaus mit Österreich zu bitten. In ihrem Gepäck haben sie eine vom gesamten Stadtrat und den zwölf Zunftmeistern unterzeichnete unverfängliche Einladung zu einem kaiserlichen Besuch. Nach ihrer Rückkehr berichtet die Delegation von der huldvoll gewährten Audienz, in der sich Kaiser Franz ohne weitere Veranlassung geäußert hätte, dass er das Breisgau wohl wieder an sich ziehen würde, was aber erst in zwei bis drei Monaten* geschehen könne, da jedem Abtretenden eine Entschädigung müsse ausgemittelt und gegeben werden. Man möge unterdessen für Ruhe, Ordnung, Unterwürfigkeit sorgen und alle voreilige Spektakel verhüten [Albe25]. *der Wiener Kongress trat erst im September zusammen
|
Klemens von Metternich |
Le Congrès danse bien, mais il marche mal
Eine Karrikatur von 1815 zeigt den tanzenden Wiener
Kongress. Der österreichische Kaiser, der russische Zar und der preußische König geben den Takt an, während ganz links Talleyrand zuschaut Am 26. November 1814 schreibt der badische Staatsrat Ludwig Klüber, der auf Hardenbergs Anforderung als Sachverständiger in Wien weilt, an seinen Sohn in Darmstadt: Mit dem Advent wird endlich das tägliche Tanzen am Hof und in der Stadt aufhören. Der alte geistreiche Prinz de Ligne sagte: Le congrès danse bien, mais il marche mal*. Hierauf soll Alexander ihn gefragt haben: Est-il vrai que vous avez fait ce bon mot-là? Der Prinz : Cela se peut, Sire, j’ai dit tant de bêtises que je ne peux pas me les rappeler toutes [Krim09]. Auch der Bruder Franz I. Erzherzog Johann schreibt in seinem Tagebuch: Nichts als Visiten und Gegenvisiten; Essen, Feuerwerk und Beleuchtung. Überhaupt habe ich seit 8 – 18 Tagen nichts getan [Mose09]. *Ein Kalauer im Französischen: Der Kongress tanzt gut, aber er läuft schlecht. Hier ist marcher in seiner übertragenen Bedeutung funktionieren zu verstehen. Zar Alexander, einer der eifrigsten Tänzer fragt ihn darauf: Ist es wahr, dass Sie dieses Bonmot geprägt haben? Die Antwort: Das kann wohl sein, Sire, ich habe soviel Blödsinn gesagt, dass ich mich nicht an alles erinnern kann.
Derweil zieht auf dem Wiener Kongress der in Koblenz geborene österreichische Außenminister Klemens von Metternich kunstvoll die Fäden und webt an der restaurativen und geographischen Neuordnung eines obrigkeitsstaatlichen Europas, die praktisch bis 1866 erhalten bleibt. Innerhalb dieser Ordnung vergrößert sich Preußen und hält künftig auf ausdrücklichen Wunsch Großbritanniens statt Österreich die Wacht am Rhein im Westen. Im Norden garantiert es bei den militärischen Konflikten mit Dänemark den Erhalt des deutschen Bundes nach außen und mit dem Eingreifen preußischer Truppen in Süddeutschland während der revolutionären Erhebungen 1848/49 auch nach innen. Zum Wohle Österreichs setzt Metternich mit Unterstützung des preußischen Außenministeriums die territoriale Schonung des zum Königreich restaurierten Frankreichs durch, da sonst der Same zu neuen fortwährenden Kriegen ausgestreut würde. Ganz im lutherischen Geist ruft der elsässische Publizist Ulrich über den Rhein: Wir sind gehorsam aller Obrigkeit, denn sie ist von Gott gesetzt. Ihr könnt uns deshalb nicht anfeinden [Hart02]. So bleibt das Elsass trotz Forderungen deutscher Romantiker nach der teutschen Provinz bei Frankreich.
Napoleon oder Die 100 Tage
Die Rückkehr Napoleons am 1. März 1815 aus seinem Exil auf Elba nach Frankreich schreckt den Kongress nur kurzfristig auf, doch die Schlacht bei Waterloo bleibt für immer im europäischen Gedächtnis.
Und so lässt Christian Dietrich Grabbe in seinem Drama Napoleon oder Die 100 Tage den Kaiser zurückblicken: Da stürzen die feindlichen Truppen siegjubelnd heran, wähnen die Tyrannei vertrieben, den ewigen Frieden erobert, die goldne Zeit zurückgeführt zu haben – Die Armen! Statt eines großen Tyrannen, wie sie mich zu nennen belieben, werden sie bald lauter kleine besitzen, statt ihnen ewigen Frieden zu geben, wird man sie in einen ewigen Geistesschlaf einzulullen versuchen, statt - der goldenen Zeit wird eine sehr irdene, zerbrechliche kommen, voll Halbheit, albernen Lugs und Tandes, - von gewaltigen Schlachttaten und Heroen wird man freilich nichts hören, desto mehr aber von diplomatischen Assembleen, Konveniensbesuchen hoher Häupter, von Komödianten, Geigenspielern und Opernhuren - bis der Weltgeist ersteht, an die Schleusen rührt, hinter denen die Wogen der Revolution und meines Kaisertums lauern und sie von Ihnen aufbrechen lässt, dass die Lücke gefüllt werde, welche nach meinem Austritt zurückbleibt.
Hegels Weltgeist lässt grüßen;Grabbe muss es wohl wissen, stammt sein Theaterstück doch aus dem Jahre 1931.
|
Lorenz Oken
|
Freiburg fällt endgültig an Baden
Der Wiener Kongress stellt viele alte Grenzen in Europa wieder her. Allerdings kommt Belgien, wie seine Bürger es wünschen, nicht wieder an Österreich, sondern wird südliche Provinz der Niederlande. Mit dem endgültigen Verzicht auf Belgien und auf die ehemaligen österreichischen Vorlande hatte Metternich geschickt den Jahrhunderte alten französisch-habsburgischen Interessenkonflikt am Oberrhein bei-, dafür aber einen französisch-preußischen am Niederrhein neu angelegt, dort, wo das protestantische Preußen so gut katholische Gebiete wie das Rheinland und Westfalen mit den Städten Köln und Münster zu verdauen hatte.
Wiener Schlussakte
Auch für die Freiburger erfüllt sich die Hoffnung auf eine vollständige Restauration nicht. Zwar gibt es auf dem Wiener Kongress die wage Idee, den Breisgau wieder an das Haus Österreich zu ziehen und dafür auf das wiedererworbene Herzogtum Salzburg zu verzichten. Letztlich führt Metternichs Streben nach Gebietsarrondierung dazu, dass Freiburg nicht unter das milde Zepter der Habsburger zurückkehrt, sondern beim Großherzogtum Baden bleibt.
Am 17. Oktober 1814 schreibt Klüber aus Wien an seinen Sohn: Es heißt die fünf Großen – das heißt Österreich, Preußen, Bayern, Württemberg und Hannover – würden zusammen einen Staatenbund errichten und die übrigen souverainen teutschen Fürsten sich auf gewisse Bedingungen unterwerfen; so vereinigten sich diese und forderten Oestreich zum Kaiser. Nur einer, wie es heißt, (Ogrdp)* ward von ihrer Versammlung ausgeschlossen, weil man ihm misstraute. Er allein stand zwischen beiden Theilen in der Mitte (dieser Fürst scheint sehr von Hypochondrie geplagt zu seyn) [Krim09]. Tatsächlich entsteht Deutschland 1816 als ein Staatenbund unter der Führung Österreichs neu. *Klüber verwendete Chiffren für delikate Aussagen in seinen Briefen. Es handelt sich hier um seinen Dienstherrn den badischen Großherzog Carl Friedrich, dem wegen seiner langen Anhänglichkeit an Napoleon weiter Misstrauen entgegen schlägt
Durch die Napoleonischen Kriege ist Baden pleite. Da nach den geschichtlichen Entwicklungen der Großherzog höhere oder neue Steuern nicht gut ohne Mitsprache des Volkes erheben kann, verspricht Carl noch während des Wiener Kongresses seinen Badenern eine ständische Verfassung. Dazu berichtet Klüber am 30. November 1814 aus Wien: Vor etlichen Tagen hat auch der Großherzog eine Instruction nach Carlsruhe gesandt, zu einem Gutachten über landständische Verfassung, welches eine Commission entwerfen soll … Die Instruction … enthält eigentlich schon die meisten Grundzüge, z. B. eine Adelskammer (!!) und eine Volkskammer (sic!). Heute zeigte sie mir der Großherzog, und da ich ihm zu zeigen mich bemüthe, dass sie in vielen Punkten dem Geist der Zeit und den Erwartungen des Volks nicht entspreche, so schien er in Verlegenheit zu gerathen und sich nur damit zu trösten, dass man es ja noch abändern könne. Warum zeigte man es mir auch nicht früher! Ueberhaupt sollte man in diesem Punct dem Congreß nicht vorgreifen. Obgleich der König von Wirtemberg durch seine Neuerung sich selbst übertroffen hat, und wenigstens dieses seinem Wiener Aufenthalt zu danken ist, so fehlt doch noch sehr viel an dem, was auch in Wirtemberg Noth thut [Krim09]. Klüber kritisiert hier ganz offen, dass die Fürsten zu Durchsetzung von finanziellen Zugeständnissen ihren Untertanen notgedrungen zwar einen kleinen Finger aber nicht die Hand reichen wollen.
Die jämmerliche, unförmliche, mißgeborene, ungestalte Verfassung
Viele vor allem junge deutsche Menschen, die sich vom Wiener Kongress für ihr Vaterland Einheit und eine größere Freiheit erhofft hatten, sind enttäuscht. Joseph Görres beklagt die jämmerliche, unförmliche, mißgeborene, ungestalte Verfassung des in Wien beschlossenen Deutschen Bundes. So gründen bereits eine Woche nach dem Ende des Kongresses 143 Studenten am 12. Juni 1812 in Jena in Abkehr von den auf mittelalterliche Tradition zurückgehenden Landsmannschaften im Gasthaus Grüne Tanne die erste deutsche Burschenschaft*. Es folgen Gründungen in anderen deutschen Universitätsstädten. *Die Burschenschaften sind neben der 1811 von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn in Berlin gegründeten Turnerschaft Träger des deutschen Nationalgedankens. Die Kleinstaaterei in Deutschland soll überwunden werden.
Der damalige Jurastudent und spätere Vorsitzende des Paulskirchenparlaments Heinrich von Gagern schreibt dazu seinem Vater: Wir wünschen, daß Deutschland als ein Land und das Deutsche Volk als ein Volk angesehen werden könne. So wie wir dies so sehr als möglich in der Wirklichkeit wünschen, so zeigen wir dies in der Form unseres Burschenlebens. Wir geben uns die freieste Verfassung, so wie wir sie gerne in Deutschland möglichst frei hätten. Wir wünschen eine Verfassung für das Volk nach dem Zeitgeiste und nach der Aufklärung desselben, nicht daß jeder Fürst seinem Volke gibt, was er Lust hat und wie es seinem Privatinteresse dienlich ist, und spielt damit auf die in den einzelnen Staaten erlassenen standesständigen Verfassungen an [Schn10].
Die Albertina ist nichts Rechtes
Mit dem endgültigen Anschluss Südbadens an Nordbaden ist die Existenz der Freiburger Universität gefährdet, hatte das Großherzogtum mit der Eingliederung der rechtsrheinischen Pfalz die renommierte Heidelberger Hochschule überkommen und nicht leicht das Geld, zwei Universitäten zu unterhalten. Zwar hatte im Jahre 1806 Kurfürst Karl-Friedrich zur Frage der Auflösung einer der beiden Hochschulen geäußert: Mit nichten, sie gehören nicht unserem Lande allein, sie gehören der Menschheit an [Koll57], doch gibt es Stimmen in der badischen Regierung, die Freiburger Universität zu schließen. Diese Bestrebungen werden bald als kleinliche Rache für die Sympathiekundgebungen der Breisgauer gegenüber Österreich angesehen. Da bittet die Universität am 10. Januar 1807 den neuen Landesherrn, den Rector magnificentissimus zu übernehmen und in dieser Eigenschaft den von der Professoren alljährlich gewählten Prorektor zu bestätigen [Baum07].
Nach dem Ende des Wiener Kongresses steht 1816 wieder einmal die Schließung der Albertina an. Minister von Hacke erklärt einer Delegation aus Freiburg, die nach Karlsruhe gereist war, Baden habe an einer Universität genug und diese müsse was Rechtes sein. Übervoll sei Freiburg mit einem Bischof und einem Regiment Soldaten entschädigt [Baum07].
Den Gegnern Freiburgs sind alle Mittel recht. Selbst nächtlicher Studentenklamauk wird zum Verbrechen aufgebauscht. Stadtkommandant Günther weiß am 19. Dezember 1817 im Anschluss an die Erregung, die in der Studentenschaft wohl wegen des Fests auf der Wartburg herrschte, zu melden: Gestern Nacht ca. ½ 1 Uhr hat eine Rotte stürmender Akademiker auf dem Münsterplatz Musik gemacht, welche von der Polizei besonders wegen des damit verbundenen Geschreis zur Ruhe gewarnt worden. Diese hat sich dann hierauf gegen die große Gasse (jetzt Kaiser-Joseph-Straße) bei den Luckstühlen* begeben, in deren Nähe das große Geschrei wiederholt, welches vom diesseitigen Posten am Zähringertor (beim Beginn der jetzigen Zähringerstraße) gehört und dem Wachkommandanten gemeldet worden, worauf derselbe zur Erfahrung der Ursache sogleich zwei Mann … abschickte. Als diese sich den Luckstühlen genähert, begegnete ihnen ein reitender Zollgardist, der die Postwagen hieher begleitete, mit Meldung, daß er von Akademikern angegriffen worden sei. Darauf wurde die Patrouille mit Hurrah und Purscheheraus (Burschen heraus) angegriffen durch eine äußerst schnell vermehrte Zahl von Akademikern, konnte sich aber wieder freimachen. Nachher wurde die Patrouille beim Römischen Kaiser (Hotel) nochmals von ca. 20 Akademikern angegriffen, das Gewehr aus der Hand gerissen und zu Boden geschlagen, Kopfwunde etc. 2 Akademiker [wurden] von einer verstärkten Wache erwischt und dem Universitätsamt zur Verwahrung übergeben, beide von Donaueschingen, einer Theologe, einer Philosoph, einer barfuß und das Gesicht ganz schwarz angestrichen. *Offene Lauben (Stühle zu lugen), in denen Waren ausgestellt wurden, gleichsam als Vorläufer der Schaufenster am alten Heiliggeistspital. Das Gebäude wurde 1823 durch einen Neubau für die Freiburger Lesegesellschaft Museum ersetzt.
So ein Widerstand gegen die Staatsgewalt und besonders der von einem Studenten der katholischen Theologie lässt sich prächtig ausschlachten, zumal sowohl das Universitätsamt als auch Stadtamt sehr wenig zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung täten, wodurch sich die nächtlichen Excesse eine geraume Zeit so durch Handwerksburschen und Akademiker wie der Wirte und deren Gäste durch Polizeivergehen auffallend vermehrten, welches auch bei den Einwohnern … laute Unzufriedenheit … erregt [Maye27].
Lorenz Oken, ein Revanchist?
Der Kampf um den Erhalt der Freiburger Universität bleibt nicht verborgen. So greift ein ehemaliger Student, der bekannte Naturforscher und Philosoph Lorenz Oken,, inzwischen Professor an der Universität Jena, in seiner vielgelesenen politischen Zeitschrift Isis die Karlsruher Regierung scharf an [Maye27]: Ihr klagt, daß euch die Breisgauer nicht mögen; besonders seid ihr wütend geworden, daß die Freiburger im Jahr 13 durch die Anwesenheit des Kaisers Franz wieder so lebhaft daran erinnert worden, welchen sorgsamen Vater sie in ihm gehabt, daß sie so sehnlichst gewünscht und es so laut und ohne Scheu gerühmt haben, er werde sie wieder als seine in Liebe und Hoffnung ihm immer anhängende Kinder unter seine Fittiche nehmen. Daß ihr euch ärgert, läßt man auch hingehen, daß ihr aber diesen Ärger merken läßt, ist zum Lachen. Wer in der Welt möchte wohl badisch werden? Haben nicht die Elsäßer deswegen sich so geweigert, wieder zu ihren Brüdern, den Deutschen, zurückzukehren, weil sie badisch zu werden befürchteten? Ein wirklich starker Tobak! Oken, ein Revanchist? Schließlich gehört das Elsass seit dem Frieden von Rastatt 1714 vollständig zur Krone Frankreichs.
In dieser gespannten Atmosphäre nimmt Karl von Rotteck den Kampf für den Erhalt der Albertina auf. In einer Promemoria weist er auf die langgestreckte Form Badens hin, welche zwei Universitäten wohl gerechtfertigt erscheinen lasse. Der Wetteifer zwischen der protestantischen Hochschule am Neckar und der katholischen an der Dreisam könne sich nur förderlich auf beide auswirken. Auch der badische Hofkommissar Karl Wilhelm Ludwig Friedrich Freiherr Drais von Sauerbronn möchte den Freiburgern die Universität erhalten. Er schlägt vor, das katholische Theologiestudium allein in Freiburg anzubieten und die Protestanten einzig an der Ruperto Carola in Heidelberg in Theologie zu unterrichten.
Weiterbestand der Universität durch ausdrückliche Verfügung gesichert
Inzwischen hatte sich Stadtkommandant Günther weiterhin mit negativen Berichten über Studentenkrawalle in Freiburg hervorgetan. Deshalb schickt das Konsistorium der Universität am 14. Januar 1818 einen geharnischten Protest nach Karlsruhe über einen Mann, der sich überhaupt nicht zum Kommandanten einer Universitätsstadt eigne, da er die Akademiker nicht kenne, nicht achte und nicht zu behandeln wisse. Derselbe habe die höchsten Behörden, vielleicht den Großherzog selbst, mit voreiligen, übertriebenen, die Akademiker und die akademische Behörde verunglimpfenden Anzeigen behelligt und nach Kräften daraufhin gearbeitet, ungünstige und im gegenwärtigen Zeitpunkt der Hohen Schule vielleicht ganz besonders nachteilige Ideen über den bei der Universität herrschenden Geist zu erregen [Maye27].
In dieser kritischen Phase kommen am 23. Januar plötzlich unerwartet gute Nachrichten aus Karlsruhe: der Weiterbestand der Universität war durch ausdrückliche Verfügung gesichert [Baum07], und auch Stadtkommandant Günther wird abgelöst. Als nun 1820 Großherzog Ludwig der Albertina als Zugabe einen jährlichen Staatszuschuss von 15 000 Gulden bewilligt, bittet die Universität, ihrer bisherigen Benennung den Namen Ludoviciana hinzufügen zu dürfen.
Die quasi Neugründung der Albertina-Ludovica bedeutet letztlich den wissenschaftlichen Aufschwung der Freiburger Universität, denn noch im Jahre 1785 hatte ein hochstehender Salzburger bei einer Studienreise durch das badische Oberland folgende abfällige Bemerkung gemacht: Die Universität Freiburg hat gegenwärtig ein ganz besonderes Schicksal; es bestehet darin, daß die Anzahl der studierenden Jugend in dem Verhältnis abnimmt als jene der größtenteils von Wien dahin geschickten Professoren sich vermehret; die belauft sich gegenwärtig auf 36, und jene soll mit Inbegriff der niederen Schulen nur ohngefähr 200 [Studenten] stark sein [Albe25].
|
|
Deutsche Burschen auf der Wartburg
Oken ist bei seinen Studenten beliebt. Er zieht am 18. Oktober 1817 vom Eisenacher Marktplatz mit 500 Burschenschaftlern aus Jena, Berlin, Kiel, Gießen, Würzburg und Tübingen [Schn10] auf die nahegelegene Wartburg, den 300. Jahrestag der Reformation und den 4. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig zu feiern, denn: Wohin Luthers siegender Ruf erscholl, da erwachte freies Geistesleben im Dienste der Wahrheit und Gerechtigkeit [Chai02]. Direkt hinter der goldbestickten schwarz-roten Fahne der Urburschenschaft marschiert der Theologiestudent Carl Ludwig Sand. Er hat diesen Ehrenplatz wegen seiner nationalen Agitation an der Universität Erlangen, wo er allerdings vergeblich versucht hatte, Mitglieder von Landsmannschaften für eine nationale Burschenschaft zu gewinnen. Die mitziehenden Studenten tragen die Farben der Jenaer Burschenschaft: Schwarz wie der Rock des Lützowschen Freikorps, rot wie das vergossene Blut und dazu noch gold wie die Sonne der Freiheit. Hier gedenken sie, noch ganz von der Befreiung des Vaterlandes vom napoleonischen Joch berauscht, des ersten Kämpfers für eine deutsche Freiheit: Martin Luther.
In einer Rede erinnert der Theologiestudent Hermann Riemann nicht nur an Luther, sondern als Kriegsfreiwilliger von 1813 und Träger des Eisernen Kreuzes auch an die enttäuschten Freiheitshoffnungen: Vier lange Jahre sind seit jener Schlacht verflossen; das deutsche Volk hat schöne Hoffnungen gefaßt, sie sind alle vereitelt; alles ist anders gekommen, als wir erwartet haben, viel Großes und Herrliches, das geschehen konnte und mußte, ist unterblieben [Fran02]. Mit manchem heiligen und edlen Gefühl ist Spott und Hohn getrieben worden ... Von allen deutschen Fürsten Deutschlands hat nur einer sein gegebenes Wort eingelöst, der, in dessen freiem Land wir das Schlachtfest begehen ... An dem, was wir erkannt haben, wollen wir aber auch nun halten, solange ein Tropfen Bluts in unseren Adern rinnt. Der Geist, der uns hier zusammengeführt, der Geist der Wahrheit und Gerechtigkeit, soll uns leiten durch unser ganzes Leben, dass wir, alle Brüder, alle Söhne eines und desselben Vaterlandes, eine eherne Mauer bilden gegen jegliche innere und äußere Feinde dieses Vaterlandes, dass uns in offener Schlacht der brüllende Tod nicht schrecken soll, den heißesten Kampf zu bestehen, wenn der Eroberer droht, dass uns nicht blenden soll der Glanz des Herrscherthrones, zu reden das starke freie Wort, wenn es Wahrheit und Recht gilt [Bemm07].
Am Abend zünden einige radikale Studenten ein Feuer an und verbrennen - wie einst Luther die päpstliche Bannbulle - Schandschriften des Vaterlandes: So wollen wir auch durch die Flamme verzehren lassen das Andenken derer, so das Vaterland geschändet haben, durch ihre Rede und That, und die Freiheit geknechtet und die Wahrheit und Tugend verleugnet haben in Leben und Schriften. Möge das höllische Feuer sie alle verzehren und vernichten, wie arge Tücke oder die Jämmerlichkeit und Erbärmlichkeit sie eingab! Dazu gehört neben dem Code Napoléon, der für die gehasste Fremdherrschaft steht, der Germanomanie des jüdischen Schriftstellers Saul Ascher, der darin den Antisemitismus der Nationalbewegung anprangert, auch das Buch Geschichte des Deutschen Reiches, in dem der Dichter August von Kotzebue die absolute Monarchie als beste Staatsform bezeichnet. Ferner übergeben die Studenten als Symbole der Tyrannei und Unterdrückung dem Feuer einen preußischen Ulanenschnürleib, einen hessischen Zopf und einen österreichischen Korporalstock.
Heines Meinung über das Ereignis ist so ganz anders: Hier aber, auf der Wartburg, krächzte die Vergangenheit ihren obscuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! Auf Hambach hielt der französische Liberalismus seine trunkensten Bergpredigten, und sprach man auch viel Unvernünftiges, so ward doch die Vernunft selber anerkannt als jene höchste Autorität, die da bindet und löset und den Gesetzen ihre Gesetze vorschreibt; auf der Wartburg hingegen herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anders war als Haß des Fremden, und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte, als Bücher zu verbrennen! Ich sage: Unwissenheit, denn in dieser Beziehung war jene frühere Opposizion, die wir unter dem Namen die Altdeutschen kennen, noch großartiger als die neuere Opposizion, obgleich diese nicht gar besonders durch Gelehrsamkeit glänzt. Eben derjenige, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Erden turnte und altdeutsche Lesarten herausgab – wahrhaftig, dieses Subjekt hätte auch Bröder's lateinische Gramatik in's Feuer werfen sollen!
Sonderbar! trotz ihrer Unwissenheit hatten die sogenannten Altdeutschen von der deutschen Gelahrtheit einen gewissen Pedantismus geborgt, der eben so widerwärtig wie lächerlich war. Mit welchem kleinseligen Sylbenstechen und Auspünkteln diskutirten sie über die Kennzeichen deutscher Nazionalität! wo fängt der Germane an? wo hört er auf? darf ein Deutscher Tabak rauchen? Nein, behauptete die Mehrheit. Darf ein Deutscher Handschuhe tragen? Ja, jedoch von Büffelhaut (Der schmutzige Maßmann wollte ganz sicher gehen und trug gar keine.) Aber Bier trinken darf ein Deutscher, und er soll es als ächter Sohn Germania's; denn Tacitus spricht ganz bestimmt von deutscher Cerevisia. Im Bierkeller zu Göttingen mußte ich einst bewundern, mit welcher Gründlichkeit meine altdeutschen Freunde die Proskripzionslisten anfertigten für den Tag, wo sie zur Herrschaft gelangen würden. Wer nur im siebenten Glied von einem Franzosen, Juden oder Slaven abstammte, ward zum Exil verurteilt. Wer nur im mindesten etwas gegen Jahn oder überhaupt gegen altdeutsche Lächerlichkeiten geschrieben hatte, konnte sich auf den Tod gefaßt machen, und zwar auf den Tod durchs Beil, nicht durch die Guillotine, obgleich diese ursprünglich eine deutsche Erfindung und schon im Mittelalter bekannt war, unter dem Namen die welsche Falle. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit, daß man ganz ernsthaft debattirte: ob man einen gewissen Berliner Schriftsteller, der sich im ersten Bande seines Werkes gegen die Turnkunst ausgesprochen hatte, bereits auf die erwähnte Proscripzionsliste setzen dürfe; denn diesem letzten Bande könne der Autor vielleicht Dinge sagen, die den inkriminierten Äußerungen des ersten Bandes eine ganz andere Bedeutung ertheilen [Hein40].
Ebenso findet Goethe mit ganz Deutschland übel den garstigen Wartburger Feuergestank, doch die Obrigkeiten sehen in der Ereignissen eine ernsthafte Bedrohung des status quo. Staatskanzler Metternich spricht von Schwyndeleien von Deutschheit, Freyheit, Verfassung und Einigkeit, während Preußens Friedrich Wilhelm III. glaubt, die Studenten wollen den Doktorhut mit der Jakobinermütze vertauschen [Fran02]. Drohende Briefe erreichen Goethes Dienstherren Großherzog Carl August, er möge den studentischen Umtrieben ein Ende bereiten [Schn10]. So wird Oken 1818 wegen der Teilnahme an der Demonstration im Zuge der Demagogenverfolgung zu Festungshaft verurteilt, anschließend jedoch vom Oberappellationsgericht freigesprochen.
|
GHz Ludwig I. von Baden
Karl von Rotteck: Eine Nation, welche der Freyheit werth ist, weiß sich auch zu verewigen und zu behaupten. |
In Karlsbad wird der Maulkorbzwang beschlossen
Die nationale Feier auf der Wartburg muss Carl Ludwig Sand beeindruckt haben, wenn er in sein Tagebuch schreibt: Wenn ich so sinne, so denke ich oft, es sollte doch einer mutig über sich nehmen, dem Kotzebue das Schwert ins Gekröse zu stoßen [Fisc09]. Angefacht werden Sands finstere Gedanken durch die Agitation des Jenaer Privatdozenten Karl Follen für eine deutsche Republik: Nieder mit Kronen, Drohnen und Baronen! Sturm! und radikaler: Freiheitsmesser gezückt! Hurra, den Dolch in die Kehle gedrückt! [Fisc09]. Da fährt Sand nach Mannheim, um einen Brand zu schleudern in die jetzige Schlaffheit. Er dringt in die Wohnung Kotzebues vor und sticht mit den Worten: Hier, du Vaterlandsverräter dem Dichter einen Dolch weder in den Unterleib, noch in den Hals, sondern mehrmals in die Brust [Schn10].
Als der vierjährige Sohn Kotzebues in das Zimmer tritt und den qualvollen Tod seines Vaters mit ansehen muss, stößt sich Sand voller Schuldgefühle einen zweiten mitgeführten Dolch in die Brust. Er wird gesund gepflegt und am 20. Mai 1820 mit dem Schwert gerichtet. Zuvor hatte er noch den Obrigkeiten entgegengeschleudert: Ihr Fürsten solltet allezeit die Meister und Ersten im Volke sein, und Ihr habt Euch meist überall als die Schlechtesten benommen. Jammer und Not im Lande rühren Euch nicht [Fisc09].
Die Ermordung des konservativen Dichters durch den radikalen Studenten erregt ganz Deutschland und bildet für Metternich den dringenden Vorwand, die nationalen deutschen Freiheits- und Einheitsbestrebungen zu unterdrücken, wenn er bekennt: Ich verbringe mein Leben damit, ein baufälliges Gebäude vor dem Einsturz zu bewahren [Mose09]. So kommen unter seinem Vorsitz am 6. August 1819 im böhmischen Karlsbad Minister und Beamte aus Österreich, Preußen und acht weiteren deutschen Staaten zusammen und erstellen bis zum 31. August einen Katalog von Maßnahmen, die der Unterdrückung von nationalen und liberalen Bewegungen dienen. Diese Karlsbader Beschlüsse beinhalten Presse- und Buchzensur, eine Polizeiaufsicht über die Universitäten, das Schließen von Turnplätzen und das Verbot der studentischen Burschenschaften. Liberalen und national gesinnten Dozenten wird ein Berufsverbot angedroht. Bereits am 20. September 1819 stimmt der Bundestag des Deutschen Bundes in Frankfurt diesen Maßnahmen zu, welche die meisten Bundesstaaten ungeschmälert übernehmen. Laut Metternich ist die Zensur das Recht, die Manifestation von Ideen zu verhindern, die den Frieden des Staates, seine Interessen und seine gute Ordnung verwirren [Schi89].
Hochschullehrer, die der öffentlichen Ordnung feindselige oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabende Lehren verbreiten, werden entlassen, einige sogar verhaftet wie Ernst Moritz Arndt und Turnvater Jahn [Goer06]. Auch Oken, der im schweren Konflikt mit seiner Landesregierung in Weimar und damit auch mit dem Minister seines Großherzogs Carl-August Goethe steht, wird 1819 seines Amtes enthoben [Maye27].
Ja, den Oken könntet ihr noch brauchen in Freiburg;
|
Zug zum Hambacher Schloss mit polnischer und scharz-rot-goldener Fahne auf 145 Cent
|
Hambach: Hinauf Patrioten zum Schloss, zum Schloss
Die bairische Pfalz war wie alle linksrheinischen deutschen Gebiete nach dem 2. Koalitionskrieg gegen Napoleon im Frieden von Lunéville 1801 an Frankreich gefallen und ist ab 1802 unter dem Namen Donnersberg sogar französisches Département. Nach den Befreiungskriegen wird beim Wiener Kongress der Rheinkreis wieder dem Königreich Bayern zugeschlagen.
Nun hatten sich die Pfälzer unter der französischen Herrschaft an republikanische Freiheiten gewöhnt. Deshalb stoßen ihnen die Beschränkung der Versammlungsfreiheit und die Pressezensur, die der bayrische König 1830 unter dem Eindruck der Ereignisse in Paris und Polen verfügt, besonders auf. Aus Reaktion gründen die Journalisten Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann August Wirth den Deutschen Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse und laden ihre Mitbürger mit einer Anzeige in der Neuen Speyerer Zeitung statt zur Huldigungs- und Dankesfeier des Jahresgedächtnisse der Verkündigung der Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 des Königreiches Bayern für den 27. Mai 1832 zum Allerdeutschenfest auf das Hambacher Schloss bei Neustadt ein. Siebenpfeiffer nennt die verordnete bayrische Verfassung ein Constitutiönchen, die man etlichen mürrischen Kindern der großen Familie als Spielzeug hingeworfen habe [Scho10]. In seiner Gegeneinladung mit der Überschrift Der Deutschen Mai heißt es: Völker bereiten Feste des Dankes und der Freude beim Eintritt heilvoller großer Ereignisse. Darauf mußte das deutsche Volk seit Jahrhunderten verzichten. Zu solcher Feier ist auch jetzt kein Anlaß vorhanden. Für den Deutschen liegen die großen Ereignisse noch im Keim; will er ein Fest begehen, so ist es ein Fest der Hoffnung; denn nicht gilt es dem Errungenen, sondern dem zu Erringenden, nicht dem ruhmvollen Sieg, sondern dem mannhaften Kampf, dem Kampfe für Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde. Alle deutschen Stämme sehen wir an diesem heiligen Kampfe Theil nehmen; alle seyen darum geladen zu dem großen Bürgerverein, der am Sonntag 27. Mai, auf dem Schlosse zu Hambach bei Neustadt am Haardtgebirge Statt finden wird ... Auf, ihr deutschen Männer und Jünglinge jedes Standes, welchen der heilige Funke des Vaterlandes und der Freiheit die Brust durchglüht, strömet herbei! Deutsche Frauen und Jungfrauen, deren politische Missachtung in der europäischen Ordnung ein Fehler und ein Flecken ist, schmücket und belebet die Versammlung durch eure Gegenwart! Kommet Alle herbei zu friedlicher Besprechung, inniger Erkennung, entschlossener Verbrüderung für die großen Interessen, denen ihr eure Liebe, denen ihr eure Kraft geweiht [Bemm07, Scho10].
Wer nennt die Völker kennt die Zahl der Menschen - man hatte für 1000 gedeckt; es sind fast 30 000 - die gastlich hier zusammenströmen und von Neustadt aus unter dem Ruf: Hinauf Patrioten zum Schloss, zum Schloss ziehen: Bürger aus allen deutschen Gauen und allen Schichten, Professoren, Abgeordnete, Burschenschaftler, Franzosen und vor allem geflüchtete Polen. Frauen und Jungfrauen tragen die weiß-rote polnische Fahne. Die Leute rufen: Für unsere und Eure Freiheit [Bult07]. In der Mitte des Zuges schwingt der Neustädter Johann Philipp Abresch zum ersten Mal die schwarz-rot-goldene Tricolore mit einer Aufschrift: Deutschlands Wiedergeburt. Die Menschen, die auf das Schloss ziehen, demonstrieren für Presse- Meinungs- und Versammlungsfreiheit, fordern die Deutsche Einheit, ein conföderiertes republikanisches Europa und sogar die Gleichberechtigung der Frauen. Prominenter Teilnehmer aus Baden am Hambacher Fest ist der spätere Abgeordnete der Zweiten Badischen Kammer und Herausgeber der liberalen Deutschen Zeitung Karl Mathy.
Vaterland – Freiheit- Ja!
|
Erinnerungsmedaille des Badenweiler Fests mit dem Motto Licht und Recht.
Denkmal Karl von Rottecks in Freiburg |
So eine Vettel von Rotteck
Die badische Regierung hatte allen Beamten die Reise zum alldeutschen Fest nach Hambach verboten. So kann von Rotteck seine liberalen Vorstellungen zur Freiheit und Einheit Deutschlands erst am Pfingstmontag 1832 auf dem konstitutionellen Fest in Badenweiler vortragen. Er bekennt sich klar zu einem freiheitlichen Föderalismus: Ich will die Einheit nicht anders als mit Freiheit, und will lieber Freiheit ohne Einheit als Einheit ohne Freiheit ... Ich will keine Einheit unter den Flügeln des preußischen oder österreichischen Adlers, ich will keine unter einer etwa noch zu stärkenden Machtvollkommenheit des so wie gegenwärtig organisierten Bundestages, und will auch keine unter der Form einer allgemeinen teutschen Republik, weil der Weg, zu einer solchen zu gelangen, schauerlich, und der Erfolg und die Frucht der Erreichung höchst ungewisser Eigenschaft erscheint ... Ein Staatenbund ist, laut Zeugnis der Geschichte, zur Bewährung der Freiheit geeigneter als die ungeteilte Masse eines großen Reiches [Wink00].
Diese Badenweiler Formel findet den Widerspruch Börnes, der sich nicht scheut, von Rotteck recht grob anzugreifen: Da ist z. B. so eine Vettel von Rotteck. Dieses alte Weib ist nicht einmal ein ehrlicher Mann. Ein armseliger Schriftsteller, der ein bißchen liberalen Demagogismus treibt und den Tagesenthusiasmus ausbeutet, um die große Menge zu gewinnen, um seinen schlechten Büchern Absatz zu verschaffen, um sich überhaupt eine Wichtigkeit zu geben. Der ist halb Fuchs, halb Hund, und hüllt sich in ein Wolfsfell, um mit den Wölfen zu heulen [Tres90].
Dem hochverräterischen Treiben ein Ende machen
Da irrt Börne, denn der Tagesenthusiasmus von Rottecks untergräbt die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtung erheblich, da er sich eindeutig gegen die Karlsbader Beschlüsse wendet. So wächst der außenpolitische Druck des Frankfurter Bundestags unter der Ägide Metternichs auf Großherzog Leopold, das liberale Pressegesetz vom 1. März 1832 einzukassieren und dem hochverräterischen Treiben ein Ende zu machen.
Eine entsprechende Verordnung war bereits am 19. Mai 1832 erschienen. Daraufhin versammelten sich am 21. Mai abends 6 Uhr im Pfauengarten viele hundert der angesehensten, entschlossensten und aufgeklärtesten Männer. Rotteck, Welcker und Duttlinger sprachen in kräftigen und klaren Worten (die mit großem Beifall aufgenommen wurden), die Gesamtgesinnung der Versammlung aus [Haff20].
Mit dem Bundesbeschluss vom 28. Juni, nach dem die Grenzen der freien Äußerung, weder bei den Verhandlungen selbst, noch bei deren Bekanntmachung durch den Druck, auf eine die Ruhe des einzelnen Bundesstaates, oder des gesammten Deutschlands gefährdende Weise überschritten werden darf, und dafür durch die Geschäftsordnung gesorgt werden soll; so machen auch sämmtliche Bundesregierungen, wie sie es ihren Bundesverhältnissen schuldig sind, sich gegen einander anheischig, zur Verhütung von Angriffen auf den Bund in den ständischen Versammlungen und zur Steuerung derselben, jede nach Maaßgabe ihrer innern Landesverfassung, die angemessenen Anordnungen zu erlassen und zu handhaben, führt die badische Regierung im Juli die Vorzensur wieder ein. Ein zweiter Beschluss des Frankfurter Bundestages vom 5. Juli 1832 über Maßregeln zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bunde schränkt in zehn detaillierten Artikeln die Presse- und Versammlungsfreiheit weiter ein.
Die Freiburger Studentenproteste dauern bis in den Herbst. Ein Regierungserlass vom 12. September 1832 verfügt die Schließung der Albertina-Ludovica wegen der verderbliche(n) Richtung, welche die Universität seit längerer Zeit in politischer und sittlicher Hinsicht dem größeren Teile nach genommen hat und der daraus hervorgegangene nicht minder verderbliche Einfluß auf die wissenschaftliche Bildung der Studierenden. Die angekündigte zweckmäßige, die seitherigen Gebrechen beseitigende Reorganisation der Universität, sowohl in ob- als subjektiver Richtung besteht in einem massiven Eingriff in die Universitätsverfassung [Baum07]. Als von Rotteck am folgenden Landtag gegen die despotische Verfassungsänderung protestiert, nutzt die Regierung die Gelegenheit und versetzt ihn und Welcker am 26. Oktober 1832 in den vorzeitigen Ruhestand. Ihre Zeitung Der Freisinnige wird verboten.
Die Affäre Karl von Rotteck
Von den liberalen Errungenschaften bleibt die neue badische Gemeindeordnung, die das Wahlmonopol der Zünfte und Adligen bricht und die Direktwahl von Stadträten und Bürgermeistern einführt. Danach wählen die Gemeindebürger Bürgermeister und Gemeinderat oder Stadtrat durch allgemeines und unmittelbares Stimmrecht auf sechs Jahre [Haff20].
Als der bisherige Bürgermeister Freiburgs im Sommer 1832 zurücktritt, erscheint in der Zeitung Schwarzwälder folgender Wahlaufruf: Wählet, wie es freien Männern und patriotischen Bürgern geziemt, das heißt frei und patriotisch. Als die Freiburger in den Kaffeehäusern bei ihren Diskussionen einen Hauch Demokratie leben, prägt von Rotteck das Bonmot: Konversation ist besser als Konsumation [Kort]. Auf ihn als Kandidaten wird im Herbst deutlich hingewiesen: Jeder kennt ihn, den Mann des Volkes, den Mann, den das Ausland mit Auszeichnung und Ehren erst kürzlich wieder für seine Verdienste belohnte [Haff20]. Von Rotteck sieht seine Chance und kandidiert für das Bürgermeisteramt in Freiburg. Von einer Welle der Popularität getragen gewinnt er 1833 die Wahl mit überwältigender Mehrheit. Bei insgesamt 18 Kandidaten erhält er 927 der 1246 abgegebenen Stimmen.
Da schlägt die lakonische Nachricht der Landesregierung wie eine Bombe ein: Nach gepflogener kollegialischer Beratung findet man sich gewogen, der auf den pensionierten großh. Hofrat und Professor Dr. Karl von Rotteck in Freiburg gefallenen Wahl zum Bürgermeister dieser Stadt die Bestätigung wie hiermit geschieht, zu versagen. Sollte sich von Rotteck, getragen von der Zustimmung der Freiburger Bürger, diesem Spruch widersetzen, so drohen der Stadt Sanktionen. Seine Gegner streuen gezielt Gerüchte: Die Regierung werde das Hofgericht nach Offenburg oder Villingen verlegen, die Garnison entfernen und anderes Unheil mehr. Ja, die Regierung habe in Rom schon Schritte getan, um das Erzbistum samt dem Seminarium nach Bruchsal zu verlegen [Haff20].
Diesmal möchte von Rotteck Schaden von Freiburg abwenden, verzichtet auf sein Amt und dankt der Bürgerschaft für ihr Vertrauen: Ich werde diese Wahl und die sie begleitenden Umstände stets als den schönsten Ruhm meines Lebens betrachten und als kostbares Vermächtnis meinen Kindern hinterlassen; auch wird, da es mir nicht mehr vergönnt sein soll, die dadurch übernommene Schuld (den Wahlauftrag, die ich gern liebend bezahlt hätte, abzutragen, solches einst einer meiner Söhne oder Enkel tun [Haff20]. An seiner Stelle wird nicht sein Sohn, sondern sein Neffe, Joseph von Rotteck zum Bürgermeister gewählt.
Die Reaktionen auf diesen Affront gegen den Volkswillen sind bis ins Nachbarland zu spüren. In der Gazette de France vom 17. Januar 1833 findet sich die erregte Äußerung des inzwischen 76-jährigen berühmten, königstreuen und liberalen Marquis de La Fayette in der französischen Nationalversammlung: Voila! Man hat allerjüngst eine Stadt in Deutschland, Freiburg, zum Bürgermeister einen Mann wählen sehen, der einer der aufgeklärtesten in Europa ist, hoch verdient und achtungswert durch alle Gaben des Geistes und Gemüts und durch seinen Patriotismus innigst ergeben der Nationalität Deutschlands und der Unabhängigkeit der uns benachbarten deutschen Staaten, eine Unabhängigkeit, welche für uns ebenso wichtig ist, als für die Deutschen selbst - Herr von Rotteck ist von seinen Mitbürgern gewählt worden [Haff20].
Ebenfalls in Paris - in seinem Exil sieht Ludwig Börne das ganz anders. Er findet von Rottecks Einknicken vor der Obrigkeit unerträglich und kommentiert des Freiburger Michels Verzicht auf das Bürgermeisteramt ironisch sarkastisch: Das liberale deutsche Philistertum wurde von solcher Hochherzigkeit bis zu Tränen gerührt und ist heimlich schadenfroh, daß die hohe deutsche Bundesversammlung erröten müsse, von solcher Großmut beschämt worden zu sein [Tres90].
Die Ereignisse um von Rottecks Bürgermeisterwahl bleiben im Gedächtnis der Badener haften und sind mit ein Auslöser für die Revolution von 1848/49.
Für immer Erbfeinde?
Die allgemeine Stimmung in Deutschland ist und bleibt franzosenfeindlich. Der als Schmach empfundene Westfälische Friede, die Raubzüge Louis XIV und seiner Nachfolger sowie die Diktatur Napoleons sind tief im Bewusstsein der Menschen verankert. Die Parole vom Erbfeind macht die Runde. Der Elsässer Dichter Johann Michael Moscherosch hatte im Dreißigjährigen Krieg die Marschrichtung wider die Frantzosen vorgegeben, dass das hochedle Teutsche Blut auß angebohrner Tugend keiner Nation spinnefeinder, alß eben denjenigen jederzeit gewesen und noch ist, die der scheinbaren Heucheley in Worten und Sitten ergeben [Deut02].
Auf der Gegenseite ist der Deutschenhass nicht minder ausgeprägt. Der französische Ministerpräsident Adolphe Thiers bekennt sich 1840 offen zum Rhein als Frankreichs anzustrebender Ostgrenze und die bürgerliche Presse verlangt kurzerhand die Abtretung des Rheinlandes. Das direkt bedrohte Baden reagiert mit der Aushebung von zusätzlichen 4500 Mann, lässt die Festung Rastatt ausbauen und die Schwarzwaldpässe befestigten [Pier57],
Da rücken sogar Österreich und Preußen zusammen, und selbst aus Bayern berichtet der französische Gesandte über einen Nationalismus, der sich ausdehnt, der jeden Tag stärker wird und Deutschland, das einst zerstückelt und uneins war, auf ganz neue Wege zu werfen scheint [Miro02]. Angesichts der französischen Bedrohung dichtet Max Schneckenburger Die Wacht am Rhein:
Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Lieb Vaterland magst ruhig sein, lieb Vaterland magst ruhig sein:
Und ob mein Herz im Tode bricht,
Noch entschlossener singen die Studenten das Lied Nikolaus Beckers:
Sie sollen ihn nicht haben,
und sie artikulieren auch gleich noch ihren Hass auf den Nestbeschmutzer im Pariser Exil:
Doch einen könnt ihr haben,
|
Victor Hugo
|
Sympathiebezeugungen von französischer Seite für Deutschland werden auf beiden Seiten des Rheins ignoriert. Victor Hugo schreibt 1842 in seinem Werk Le Rhin: Ich liebe die deutsche Erde und achte das deutsche Volk; ich fühle in mir eine kindliche Verehrung für das edle, heilige Vaterland aller Denker ... Was bleibt vom alten Europa* übrig? - zwei Völker bloß: Deutschland und Frankreich, es besteht zwischen beiden Völkern eine innige Verwandtschaft: beide stammen von demselben Ursprung; beide widerstanden den Römern! sie sind Brüder in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft, als die einzigen echten Söhne des europäischen Bodens [Lébr13]. *Dürfen wir annehmen, dass der ehemalige US-Verteidigungsminister Rumsfeld die Reisebeschreibung Victor Hugos kannte, als er Frankreich und Deutschland als Old Europe bezeichnete.
Mit Pickelhaube: Preußens Wacht am Rhein
Auf deutscher Seite hatte 1830 der greise Goethe gegenüber Eckermann erklärt: Nationalhaß findet sich am stärksten und heftigsten auf den unteren Stufen der Kultur. Man solle zu derjenigen Stufe emporschreiten, wo er ganz verschwindet und wo man gewissermaßen über den Nationen steht und man ein Glück oder Wehe des Nachbarvolkes empfindet, als wäre es dem eigenen begegnet. Diese Kulturstufe war meiner Natur gemäß, und ich hatte mich darin lange befestigt, ehe ich mein sechzigstes Jahr erreicht hatte [Borc02].
Die Freiburger sind Leute, die man vom ersten Tag an lieben muß
Der französische Wirtschaftsgelehrte Emile Jacquemin gibt 1843 eine wenig bekannt gewordene Schrift über Deutschland heraus und endet seinen Text mit einem Lobpreis auf Freiburg: Nur ungern schied ich von diesem schönen und glücklichen Land, von den guten Freiburgern, welche den Fremden eine so treuherzige Aufnahme gewährten. In Wahrheit, die Freiburger sind Leute; die man vom ersten Tag an lieben muß, weil bei ihnen der Freimut, die Aufrichtigkeit und die Hingebung zu Hause sind; sie verdienten, daß man an jedem Eingang zur Stadt, das Wort Gastfreundschaft aufpflanzte. Auch könnte man noch die Worte Arbeitsamkeit und Fleiß als Inschrift mit anwenden: Ruhm dem tätigen Volke! Ruhm dem alten Deutschland sowie jedem Land, wo sich vor allen andern Stimmen die Stimme der Vernunft und der Erkenntnis hören läßt! Mein Herz trieb mich, meinem Vaterlande gegenüber, das ich vor mir sah, zu dem Ausruf: Möchte Frankreich, das einst durch den Mund Ludwigs XIV. sagte, es gibt keine Pyrenäen mehr, dereinst und Deutschland mit ihm sagen können, es gibt keinen Rhein mehr! Meine Wünsche verknüpften meine Heimat und Deutschland zu einem festen Bruderbund [Albe24].
|
This page was last updated on 02 December, 2023